Surrealismus, Heilung und schnuckelige Cafés – was steckt hinter dem Asien-Hype?

Japan und Korea
Eine Frage an die preisgekrönte Übersetzerin Ursula Gräfe: Mittlerweile hält der Hype, den es um asiatische Literatur gibt, seit vielen Jahren an. Was glauben Sie steckt dahinter?
In der asiatischen Literatur verschwimmen häufig die Grenzen zwischen Realität und Fantastik. Zahlreiche japanische oder koreanische Autorinnen und Autoren kombinieren in ihren Werken diese beiden Konzepte, die nach westlicher Vorstellung als gegensätzlich oder sogar unvereinbar gelten. In ihren fantastischen Welten stürzen sie eine als unterdrückerisch empfundene soziale Ordnung. So stellt Sayaka Murata in »Schwindende Welt«, wie auch in ihren anderen Werken, die gesellschaftliche Realität als kulturelles Konstrukt bloß, indem sie ihr kreative Gegenwelten entgegenhält. Die Anziehungskraft liegt offenbar in dem außergewöhnlichen Blick von Schriftstellerinnen wie Sayaka Murata, Yukiko Motoya oder Han Kang, die das Reale mit dem Irrealen verschmelzen.
Ursula Gräfe über die Übersetzung von Sayaka Muratas neuen Roman »Schwindende Welt«
Zwischen Eskapismus und Gesellschaftskritik: Was asiatische Literatur so besonders macht
Literatur aus dem asiatischen Raum – allem voran aus Japan und Südkorea – erfreut sich seit einigen Jahren einer stetig wachsenden Beliebtheit in den Buchhandlungen westlicher Länder. Laut einem Guardian-Artikel vom 23. November 2024 kam fast die Hälfte der Bestseller in Großbritannien im letzten Jahr aus Japan! Aber was macht diese große Faszination aus?
Hier kommen offensichtlich verschiedene Faktoren zusammen. Der von vielen als exotisch wahrgenommene asiatische Raum ist sicherlich ein willkommener Projektionsraum für Eskapismusbedürftige. Eine ganze Welle an Büchern, die in niedlichen Cafés oder Buchhandlungen mit Katzen vor der Tür spielen und trostspendende Romane an der Grenze zum Lebensratgeber findet sich seit Jahren auf den oberen Plätzen der Bestsellerlisten.

Daneben existiert aber auch die große Tradition von bestechenden Gesellschaftsanalysen in Form von surrealistischen Drohkulissen. Mit ihrer Kunst, über Entfremdung und Widerstand gegen gesellschaftliche Erwartungen in kristallklarer Kühle zu schreiben, konnten sich japanischen Kultautoren wie Haruki Murakami und Banana Yoshimoto bereits in den 1990er Jahren im Westen durchsetzen. Auf ihren Spuren folgen aktuelle Bestsellerautorinnen wie die Nobelpreisträgerin Han Kang, Sayaka Murata und Asako Yuzuki.

Diese spätere Generation bedient sich ähnlicher literarischer Elemente, beleuchtet grauenhafte, vergessene Kapitel der Geschichte und toxische Gesellschaftsdynamiken in aller Furchtlosigkeit und überspitzt diese bis ins Satirische. Ihre Geschichten sind von hoher Originalität und werfen einen oft gnadenlosen Blick auf patriarchale Strukturen. Sie hat ein Herz für die Unwägbarkeiten, in denen sich Frauen wiederfinden, denen in unserer Welt kaum Platz eingeräumt wird.

Besonders Murata, die als »Kafka unserer Generation« gilt, hat mit »Die Ladenhüterin« eine entscheidende Wegbereiterinnenrolle beim Durchbruch der jüngeren asiatischen Literatur auf europäischen Märkten gespielt. Und zuletzt zeigt Han Kangs Nobelpreis, dass auch die elitärsten Literaturorgane asiatische Bücher in ihrem Weltklasseniveau anerkennen.

Seishi Yokomizo wiederum ist der silbrige Altmeister auf dem Gebiet des Kriminalromans und mit seinen klassischen historischen Whodunits zum Miträtseln steht er Agatha Christie und Arthur Conan Doyle in nichts nach.