Romaday am 8. April: Bücher und Aktionen für mehr Bewusstsein und Solidarität


Im vergangenen Jahr haben wir das Erscheinen eines Buchs gefeiert, in dem Gianni Jovanovic gemeinsam mit Oyindamola Alashe seine beinahe unglaubliche Lebensgeschichte erzählt. »Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit« hat aber auch einen sehr ernsten, politischen Anspruch: mehr Gerechtigkeit und Aufmerksamkeit für die Lage der Rom:nja und Sinti:zze in Deutschland und überall auf der Welt.
Zum Internationalen Romaday 2023 präsentieren Jovanovic und Alashe ihr Buch im Südblock in Berlin. Neben Musik, Tanz und Party ist das Ziel der Veranstaltung, gemeinsam zuzuhören, ins Gespräch zu gehen und die Community der Rom:nja und Sinti:zze zu feiern.
Zum Interview mit Oyindamola Alashe
Zur Veranstaltung
Der Romaday 2023 im Aufbau Haus
Im Aufbau Haus, dem Sitz der Aufbau Verlage am Berliner Moritzplatz, hat auch die Stiftung Kai Dikhas (Romanes: »Ort des Sehens«) ihren Sitz, die aus der gleichnamigen Galerie hervorgegangen ist und die Kunst und Kultur der Rom:nja und Sinti:zze fördert. Letztere wurde 2011 als erste Galerie für die zeitgenössische Kunst der Rom:nja und Sinti:zze von Moritz Pankok (Kurator, Regisseur und Bühnenbildner) und Matthias Koch (Geschäftsführer der Aufbau Haus GmbH sowie der Aufbau Verlage) am Berliner Moritzplatz eröffnet. Seitdem wurden in den Galerieräumen in Berlin, aber auch international etwa 100 Solo- und Gruppenausstellungen umgesetzt, um die Kunst und Kultur der Rom:nja und Sinti:zze einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In den Räumen der Stiftung und des Bildungsforums gegen Antiziganismus im Aufbau Haus können Sie noch bis zum 16. Mai eine Ausstellung mit Gemälden und Installationen des Künstlers Eugen Raportoru besuchen.

In einer zweiteiligen Ausstellung beschäftigt sich Eugen Raportoru, einer der renommiertesten Maler seiner Generation in Rumänien, mit der Verfolgung und Deportation der Rom:nja während der Zeit des Nationalsozialismus und des damaligen Regimes in Rumänien. Er erinnert damit an einen wenig erforschten Teil des Roma Holocausts, dem insgesamt etwa 500.000 Rom:nja und Sinti:zze in ganz Europa zum Opfer fielen. Auch seine eigene Familie wurde Opfer der Deportationen. In den Räumlichkeiten des Bildungsforums gegen Antiziganismus ist eine raumgreifende Installation aus zwölf großformatigen Gemälden und einem Kreuz aus einer Eisenbahnschwelle auf einer Achse mit zwei Holzrädern zu sehen. Der Kunstraum Dikhas Dur zeigt die Installation »Entführung aus dem Serail«, das zentrale Ausstellungsstück des letzten Roma Pavillons auf der 59. Biennale Venedig 2022 war, das nun Teil der Sammlung der Stiftung Kai Dikhas ist.
Unsere Bücher gegen Antiziganismus
Widerstand durch Kunst
Widerstand gegen Diskriminierung und Stereotypisierung durch die Mehrheitsgesellschaft ist in der Kunst zu einer Quelle von Kreativität geworden. So auch in den Künsten und Kulturen der Sinti:zze und Rom:nja. Der vorliegende Band gibt eine profunde Einführung in das heute oftmals noch verborgene künstlerische Schaffen und die kulturelle Selbstbehauptung der größten Minderheit Europas. Ihre Kunst wird zu einer Form des Widerstands gegen jahrhundertelange Verfolgung. Das Buch vereint Grundlagentexte aus den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Musik, Tanz, Film, Theater, kontextualisiert durch die Themen Bilderpolitik, Bürgerrechtsbewegung und den Holocaust an den Sinti:zze und Rom:nja. Es ist aus der mehrfach preisgekrönten digitalen Plattform RomArchive hervorgegangen, zu deren reichhaltigem Datenschatz digitale Schnittstellen im Buch verweisen.
Was für eine Geschichte! Gianni Jovanovic hat mit 43 Jahren mehr erfahren als andere in ihrem ganzen Leben: 1978 in Rüsselsheim geboren, erlebten er und seine Familie immer wieder rassistische Anfeindungen. Mit 14 verheirateten seine Eltern ihn. Mit 17 war er bereits zweifacher Vater, Anfang 20 outete sich Gianni Jovanovic als schwul. Inzwischen ist er seit 18 Jahren mit seinem Ehemann zusammen, zweifacher Großvater und die wohl bekannteste Stimme der Rom:nja und Sinti:zze in Deutschland. Gemeinsam mit der Journalistin Oyindamola Alashe erzählt er diese Geschichte einer Selbstermächtigung und entwirft dabei auch seine Vision einer antirassistischen, diversen Gesellschaft. Gianni Jovanovic' Geheimwaffen: Charme und Humor. Besonders auch dann, wenn es weh tut.
Helios Gómez – Die Ästhetik der Revolution
Helios Gómez (1905 in eine Roma-Familie in Sevilla geboren, 1956 in Barcelona gestorben) stand im Zentrum der wichtigsten Netzwerke künstlerischen Schaffens in Europa Anfang des 20. Jahrhunderts. Seine Zeichnungen, Plakate und Gemälde erzählen aus einer subalternen und aktiven Perspektive den Einbruch des Proletariats in die Geschichte der Bilder. Während der Zeit der Diktatur in Spanien wurde er verfolgt und ging 1927 ins Exil. Nach einem Aufenthalt in Paris folgten die Stationen Brüssel, Wien, Moskau und im Winter 1928/29 schließlich Berlin. Im Kreis der Assoziation revolutionärer bildender Künstler knüpfte er Beziehungen zur Dada-Gruppe und den Konstruktivisten und studierte moderne Typographie. 1930 veröffentlichte die Internationale Arbeiter-Assoziation in Berlin sein Meisterwerk »Dias de Ira – Tage des Zorns«, das Realismus und Abstraktion, radikale Ästhetik und soziales Engagement verbindet und welches in diesem Buch vollständig reproduziert wird. Im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 haben viele spanische Roma (Kalé) auf Seiten der Republik gegen die Faschisten unter Franco gekämpft. Unter ihnen, war Helios Gómez einer der bekanntesten »Republikaner«.
Die Morgendämmerung der Worte
Es ist der Ertrag einer jahrelangen Suche in den Antiquariaten und Bibliotheken Europas, das Ergebnis einer literaturwissenschaftlichen Forschung an den Quellen: Die Poesie der Rom:nja und Sinti:zze, Lovara, Kalderasch, Gitanos, Gypsies, Travellers oder Jenischen. Die Anthologie versammelt über 250 Gedichte von rund 100 Autor:innen. Diese erzählen fern von jeder Reisewagen-Folklore und »Zigeuner«-Romantik, aber auch ohne den Versuch, eine Leidensgeschichte zu schreiben, von Vertreibung, Ankommen und Melancholie, Sehnsucht und Heimweh, von den Labyrinthen der Bürokratie, von Ablehnung, Angst und Hass, es sind Verse von der Natur, Pferden, den Sternen und natürlich von Liebe.
Everybody's Gypsy
Der sogenannte »Gypsy-Style« ist fest in unserem Alltag, vor allem in der Popkultur, verankert. In Musik, Film, Fernsehen, Literatur und Mode bedient man sich gerne bei alten und falschen Klischees, die den »Gypsys« zugeschrieben werden – sie versprechen Freiheit, Sinnlichkeit und Emotionen. Dabei haben Sinti:zze und Rom:nja seit Jahrhunderten auf ganz unterschiedliche Weise unsere Kultur bereichert. Dotschy Reinhardt widmet sich diesen Phänomenen, hat Musiker:innen, Filmemacher:innen, Autor:innen und andere Kulturschaffende von Berlin bis New York besucht. Sie zeigt wie gelebte Erinnerung zukunftsweisend ist. Und warum man besser kein »Zigeunerschnitzel« bestellt.
Das Kind auf der Liste
Willy Blum war sechzehn Jahre alt, als er in Auschwitz Birkenau ermordet wurde. Von ihm blieb nur ein Name auf einer Liste, neben dem durchgestrichenen Namen Jerzy Zweigs, der durch Bruno Apitz` Roman »Nackt unter Wölfen« weltberühmt wurde. Über Willy Blum und seine Familie wusste man bislang nichts. Annette Leo hat sich auf die Suche gemacht und erzählt die Geschichte der Familie Blum und zugleich auch die Geschichte des Verschweigens einer Opfergruppe in der Nachkriegszeit: die der Sinti:zze und Rom:nja. Mit einem Vorwort von Romani Rose.