11. Apr. 2023

»Was der Körper macht, ist magisch«

Autorin Szilvia Molnar über ihren Debütroman »Milchbar«, die Erfahrung von Mutterschaft, Moos, Milchpumpen, nächtliches Googlen und Krankenhausessen nach der Geburt

Szilvia, erinnerst du dich, als du mit der Arbeit am Buch begonnen hast – wann war der Moment, in dem du dachtest, das ist es, ich schreibe über eine junge Frau, die gerade Mutter wird?

Sobald ich mit meinem ersten Kind schwanger war, fing ich an, mir Notizen zu machen, weil die Erfahrung für mich völlig fremd, aber auch staunenswert und sehr aufregend war. Aber erst nach der Geburt und als ich damit zu kämpfen hatte, meine Identität wiederzufinden, wurde mir klar, dass ich über die postpartale, sehr verletzliche Zeit einer jungen Mutter schreiben würde.

Milchbar
Empfehlung
Hardcover
22,00 €

Wenn Du den Prozess beschreiben würdest, kam das Schreiben eher in Wellen, oder war es eher ein Zickzack?

Ich mag die Idee des Zickzacks. Ich hatte zunächst viele, viele kurze Szenen. Viele Momente bevor das Baby Button auf die Welt kommt (während Miffo schwanger ist) und solche nachdem Button auf die Welt gekommen ist (während Miffo mit Depressionen zu kämpfen hat). Anfangs habe ich beide Teile getrennt gehalten. Nachdem meine Agentin den ersten Entwurf gelesen hatte, schlug sie vor, beide Zeitebenen zu verflechten. Und da habe ich dann angefangen, alles zusammenzuführen. Ich wusste, dass sie Recht hatte, ich brauchte nur lange, um herauszufinden, wie das im Roman funktionieren würde.

Die Hauptfigur, die junge Frau, die gerade ihre kleine Tochter zur Welt gebracht hat, nennt sich Miffo. Wer ist Miffo?

Miffo ist im Grunde jede, die denkt, dass sie ein Monster ist, weil sie schlechte oder dunkle Gedanken über das Muttersein hat.

Beim Lesen des Buches stieß ich auf Dinge, die in der Literatur selten Platz finden: der Körper einer verwundeten Frau, riesige blutige Binden, das Wochenbett, Körperflüssigkeiten, eine Milchpumpe. Wolltest Du mit »Milchbar« einen Raum schaffen, in dem wir die Art und Weise, wie wir über Mutterschaft sprechen, neu denken können?

Ja, ganz sicher. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das konkret über die Erfahrung berichtet, aber zugleich im Bereich des Fiktionalen bleibt. Also habe ich beschlossen, es selbst zu schreiben.

Viele Bilder im Buch bleiben für immer in Erinnerung, besonders die, die den seelischen Zustand der Mutter beschreiben. Zum Beispiel die Szene, in der sie sich fast wahnhaft eine Spinne vorstellt, die nachts im Kinderzimmer ein Bettchen für ihr Baby webt. Wie sind diese Bilder zu Dir gekommen?

Bei der Spinne versuchte ich mir vorzustellen, was Miffo trösten könnte, und da kam mir die Künstlerin Louise Bourgeois und ihre riesige »Maman« in den Sinn – eine Art sprachlose Mutterfigur, die vielleicht auch ein bisschen unheimlich ist. Aber Maman würde Miffo niemals weh tun, selbst wenn sie aus Miffos Gedankenwelt stammt.

Du beschreibst auch die physische Realität, Mutter zu werden. Es gibt eine Szene, in der Miffo erstmals etwas zu essen bekommt, nachdem sie ihre Tochter im Krankenhaus zur Welt gebracht hat. Und Du fängst so gut das animalische Bedürfnis ein, den Körper zu füttern, der gerade in einem ungeheuren Kraftakt ein Leben auf die Welt gebracht hat. Wie sie sich über den Speck und den Schokopudding hermacht…

Diese Szene habe ich ganz schnell geschrieben, sie kam aus meiner persönlichen Erfahrung. Meine Sinne und mein Hunger waren direkt nach der Geburt so ausgeprägt, dass all diese Erinnerungen für mich noch sehr präsent sind. Ich weiß nicht, wie der Körper das macht, aber es ist ziemlich magisch.

Du hast auch ein paar Google-Suchverläufe und Listen in das Buch aufgenommen (»Was ist Postpartum?« / »Narzissen«). Wie kam es dazu?

Ich dachte, es wäre eine unterhaltsame Art, die Schwere in einigen Kapiteln aufzubrechen und mit den Listen etwas von Miffos innerem Zustand zu zeigen. Irgendwann schrieb ich ein langes Gedicht, das im Grunde eine Liste all der Dinge war, die ich aus meiner Jugend und aus der Zeit, bevor ich Kinder hatte, vermisste. Und es fühlte sich richtig an, diese Liste in das Buch aufzunehmen, als eine Liste von Dingen, nach denen Miffo sich sehnt.

Moos spielt eine interessante Rolle im Roman.

Seit ich in den USA lebe und besonders während der Pandemie habe ich die skandinavische Landschaft [Szilvia Molnar ist in Schweden aufgewachsen] vermisst, ich denke vor allem an moosbedeckte Hügel und Waldböden. Also habe ich mir ein Stück dieser Landschaft zurückgeholt, indem ich darüber geschrieben habe.

Wenn Du an Deine Leser:innen denkst, die Dein Buch jetzt entdecken werden, wo/wann möchtest Du, dass sie es lesen — nachts, auf dem Sofa, in den frühen Morgenstunden?

Solange sie es lesen, wäre ich glücklich, wo immer sie sind — und dankbar dafür, dass sie sich die Zeit dafür nehmen.

Wenn Du Dir aussuchen könntest, neben welche anderen Büchern Dein Roman im Buchladen liegen sollte, welche Bücher würden Dir in den Sinn kommen?

Am liebsten zwischen »Mein Kampf« von Karl Ove Knausgård und der »Kopenhagen-Trilogie« von Tove Ditlevsen… ;)

Interview: Friederike Schilbach

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