01. Sep 2022

Helene Bukowski über das Entstehen ihres neuen Romans »Die Kriegerin«

Interview mit der Autorin Helene Bukowski über das Entstehen ihres neuen Romans »Die Kriegerin«, die Ostsee, das Leben von Soldat:innen und das Schreiben während der Pandemie.

Liebe Helene, wie und wo hast Du »Die Kriegerin« geschrieben?

Angefangen habe ich den Roman, als ich eigentlich noch an meinem ersten Roman »Milchzähne« gearbeitete habe. Damals dachte ich, ich brauche ein neues Projekt, weil ich mit »Milchzähne« in eine Sackgasse geraten war. In dieser Zeit habe ich mir vor allem Notizen gemacht und für mich interessante Bilder gesammelt. Darunter war auch ein Bild der israelischen Fotografin Mayan Toledano. Damals hat es mich vor allem wegen der Farbigkeit und Atmosphäre interessiert, nicht wegen des Motivs. Als ich es dann doch geschafft habe, die Schreibblockade zu überwinden, habe ich dieses Projekt ruhen lassen und erst 2019, nach Erscheinen von »Milchzähne«, daran weitergearbeitet. Beim erneuten Betrachten meines Bildarchivs bin ich dann bei der Fotografie von Toledano hängen geblieben und hatte die Idee, das Thema Soldatinnen mit in den Roman hineinzubringen.

Helene Bukowski

Wie ging es dann mit dem Schreiben weiter?

Eine Zeitlang war alles sehr dystopisch und nicht verortbar, bis mich mein Lektor Anvar Čukoski gefragt hat, warum ich den Roman nicht in Deutschland spielen lassen möchte. Ich hatte dann das Glück, verschiedene Stipendien für das Projekt zu erhalten. Im Frühling 2020 war ich für einen Monat im Künstlerdorf Schöppingen und im Herbst sechs Wochen in Freiburg.

Ich kann nicht gut arbeiten, wenn noch andere Personen mit im Raum sind. Die restliche Zeit habe ich daher meisten bei mir zu Hause geschrieben. Wenn mir Berlin zur eng wurde, bin ich aber auch immer wieder aufs Land geflüchtet. Seit 2020 habe ich mit einer Gruppe von Freund:innen ein Haus in Brandenburg. Auch dort habe ich mir ein Schreibzimmer eingerichtet. Während des Lockdowns war das die Rettung. Sonst wäre mir wahrscheinlich die Decke auf den Kopf gefallen.

 

 

Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen: Lisbeth und Florentine, genannt die Kriegerin. Wo lernen sich die beiden kennen?

Lisbeth und die Kriegerin lernen sich bei der Grundausbildung der Bundeswehr kennen. Sie sind in derselben Stube untergebracht und teilen sich ein Stockbett. So richtig lernen sie sich aber erst kennen, nachdem sie einmal zusammen tanzen waren.

 

Wie hast Du zum Leben von Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr recherchiert?

In meinem Umfeld gibt es niemanden, der bei der Bundeswehr ist. Ganz zu Beginn habe ich deshalb einfach mal einen Soldaten angesprochen, der im Zug neben mir saß. Auch die Bundeswehr selbst hat mir geholfen, Interviews zu führen. Sehr hilfreich war dann aber vor allem der Bund Deutscher EinsatzVeteranen und Bücher von Soldat:innen und Journalist:innen, die Soldat:innen begleitet haben. Auch Filme und Videos und Fachliteratur von Wissenschaftler:innen habe ich für die Recherche genutzt. Dauernd bin auf neue Sachen gestoßen. Selbst kurz vor Abgabe habe ich mir noch Bücher bestellt. Schriftsteller:innen sind ja nur in den seltensten Fällen wirkliche Expert:innen in den Themen, über die sie schreiben. Ich habe versucht, das durch meine Lesewut zu kompensieren.

Woher rührt der Wunsch von Lisbeth und der Kriegerin, sich einen Körper anzutrainieren, der nicht verwundbar ist?

Für Lisbeth und die Kriegerin ist Verletzlichkeit gleichbedeutend mit Schwäche. Sie sind der Meinung, einem trainierten, einem »gestählterten« Körper kann nichts passieren. Das Verletzungen aber nicht immer nur physisch sind und auch Gewalt nicht nur auf den Körper zielt, daran denken sie nicht.

 

 

Lisbeth ist sehr empfindsam, ihre Haut reagiert auf Gefühle und Träume anderer Menschen. Wie schützt sie sich vor zu viel Nähe?

Lisbeth glaubt, nur die Distanz zu anderen Menschen kann sie schützen. Sie lässt niemanden an sich heran, gibt nichts von sich preis, schottet sich ab, ohne zu bemerken, dass so ein Panzer eben auch bedeutet, in sich selbst gefangen zu sein.

 

An einer Stelle sagt die Kriegerin: »Ich glaube Männer sind nur deshalb mehr dafür gemacht, Soldaten zu sein, weil sie von klein auf lernen, ihre Verletzungen zu verstecken. Frauen dagegen tragen sie zur Schau, als würde es sich um Schmuckstücke handeln.« Glaubst Du, sie hat recht?

Für mich stecken in dieser Aussage zwei verschiedene Dinge: Dass Frauen ihre Verletzungen wie »Schmuckstücke zur Schau tragen« scheint mir eine weitverbreitete Meinung, der ich aber sehr deutlich widersprechen würde. Ich kann aber die Position, aus der die Kriegerin das sagt, ein Stück weit nachvollziehen. Es gibt den sehr tollen Essay »Große Universaltheorie über den weiblichen Schmerz« von Leslie Jamison, in dem sie unter anderem über »postverwundeten Frauen« schreibt.

 

Was meint Jamison damit?

Mit »postverwundeten Frauen« meint sie nicht, »dass sich die Tiefe der Empfindungen verändert hat (wir wissen, dass Frauen noch immer verletzt werden), sondern, dass der Affekt der Verletzung geringer geschätzt wird«. Die Kriegerin ist für mich eine solche »postverwundete Frau« und auch ich bin schon in diese Falle getappt. Postverwundete Frauen ziehen es vor, »empfindungslos« zu sein und schauen auf die herab, die das nicht sind. Aber dieses Verhalten ist alles andere als feministisch und solidarisch, und wir sollten daher unbedingt nach Wegen suchen, einen anderen Umgang mit unseren Verletzungen zu finden. Zustimmen würde ich der Kriegerin, dass männlich gelesene Kinder eher von der Gesellschaft dazu erzogen werden, »ihre Verletzungen zu verstecken«. Ob sie aber deswegen die besseren Soldat:innen sind, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Denn der Anspruch, unverwundbar zu sein, führt eben auch oft dazu, dass sich Soldat:innen keine Hilfe suchen, wenn sie zum Beispiel unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Und das hat gravierende Folgen, nicht nur für ihre Arbeit.

 

Gewalterfahrungen, auch solche, die sich über Generationen einschreiben, spielen im Roman eine große Rolle. Wie hast Du Dich diesem Thema angenähert?

Auch für dieses Thema habe ich viel recherchiert. Mich haben nicht nur die Gewalterfahrungen an sich interessiert, sondern vor allem auch, wie sie nachwirken. Dadurch war für mich schnell klar, dass ich auch von der Vererbbarkeit von Gewalterfahrungen erzählen muss. Es gibt das geniale Buch »Verkörperter Schrecken« von Bessel van der Kolk, einem Psychologen, der sehr viel zu Posttraumatischen Belastungsstörung geforscht hat. Zunächst hat man geglaubt, PTBS sei nur eine Sache, unter der Soldaten leiden. Erst später hat man auch andere Personengruppen untersucht und herausgefunden, dass eine PTBS zum Beispiel auch nach einer Vergewaltigung oder durch Gewalterfahrungen in der Kindheit ausgelöst werden kann. Anhand vieler Fallbeispiele erläutert van der Kolk, welche gravierenden Auswirkungen traumatische Gewalterfahrungen auf den Körper und Geist haben können und wie sie das ganze Leben der Betroffenen durchdringen.

 

Was hast Du noch zum Thema gelesen?

Meine Agentin Elisabeth Ruge hat mir das Buch »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« von Swetlana Alexijewitsch empfohlen, in dem die Frauen, die im Zweiten Weltkrieg in der Roten Armee gedient haben, zu Wort kommen. Wie diese Frauen von ihren Kriegserfahrungen erzählen, hat mir noch einmal ganz anders die Augen geöffnet. Statt cleanen Berichten finden sich in dem Buch bildgewaltige Fragmente, oft schon ins Surreale gehend, auch weil Träume eine so große Rolle spielen. Das hat mich darin bestärkt, auch bei »Die Kriegerin« mit Träumen, Motiven und Bildern zu arbeiten.

 

Einer der zentralen Schauplätze des Romans ist die Ostsee-Küste. Was verbindest Du mit der Ostsee?

Während meines Stipendiums in Freiburg war die Schriftstellerin Iris Wolff meine Mentorin. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, warum, aber bei einem Treffen, sind wir auf das Thema Salz gekommen, und dass es nicht nur eine austrocknende Wirkung hat, sondern auch die Fähigkeit besitzt, einen im Wasser schwerelos werden zu lassen. Ich habe daraufhin beschlossen, das Meer mit in den Roman hineinzunehmen. Meine Familie mütterlicherseits kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Als Kind war ich oft auf dem Darß. Den Roman zum Teil dort spielen zu lassen, hat das Schreiben plötzlich wieder leicht gemacht. Auch weil das Meer als Motiv für mich hervorragend in den Roman passt, bildet es durch seine Unkontrollierbarkeit ein Gegengewicht zu Lisbeth und der Kriegerin, die immer versuchen, alles zu kontrollieren. In Terézia Moras Tage- und Arbeitsbuch »Fleckenverlauf« bin ich dann auf das Zitat der Schriftstellerin Karen Blixen gestoßen: »The cure for anything is salt water – sweat, tears or the sea«. Das hat mich auf die Idee gebracht, die drei verschiedenen Teile des Romans »Salzwasser«, »Schweiß« und »Tränen« zu nennen.

 

Auch Blumen spielen im Roman eine wichtige Rolle. Lisbeth arbeitet anfangs in einem Blumenladen, ihr Vater hat eine Gärtnerei, später ist sie Floristin auf einem Kreuzfahrtschiff. Was ist das für ein Blumen-Artwork auf dem Umschlag Deines Buchs?

Das stammt von der Künstlerin Xuebing Du. Als es um das Gestaltung des Buches ging, hat Anvar Čukoski mir immer mal wieder Bilder geschickt, die für ihn als Cover in Frage kamen. Als er mir dann die Serie »Mother of Pearl« gezeigt hat, wusste ich sofort, dass er das Richtige gefunden hat. Gleich auf mehreren Ebenen korrespondiert das Bild mit meinem Roman: Blumen spielen eine Rolle, die aufgefächerten Blütenblätter erinnern mich aber auch an Haut, und durch den Glanzeffekt muss ich an eine Rüstung denken. Und eine Vulva ist in dem Motiv auch zu erkennen.

 

Wenn es einen Soundtrack zu Deinem Roman gäbe, welcher Song wäre dabei?

Zu meinem letzten Geburtstag hat mir jemand eine selbst zusammengestellte Playlist geschenkt. Darauf befand sich der Song »Wo soll ich hin« von Erregung öffentlicher Erregung. Als ich ihn das erste Mal gehört habe, hatte ich sofort Lisbeth und die Kriegerin im Kopf. Ich habe den Song seitdem rauf und runter gespielt, aber nie das Video dazu gesehen, bis du mir diese Frage gestellt hast und ich mir den Song bei Youtube angesehene habe. Abgefahrenerweise sind in dem Video viele Motive, die auch in meinem Roman eine Rolle spielen. Steine, Gebirge, Vögel, das Licht, die Wüste. Daher ist er auch auf der visuellen Ebene sehr passend für »Die Kriegerin«.

Erregung Öffentlicher Erregung - Wo soll ich hin

Wenn Du es Dir aussuchen könntest, umgeben von welchen Büchern sollte »Die Kriegerin« am allerliebsten im Buchladen liegen?

Anders als bei meinem Debüt »Milchzähne« haben viele verschiedene Bücher meinen Schreibprozess begleitet. Eine Menge der Denkanstöße, Ideen und Bilder habe ich erst durch sie gefunden. Deswegen fände ich es besonders toll, sie in der Umgebung von »Die Kriegerin« zu wissen: Wolfgang Borchert, »Draußen vor der Tür«, Roman Ehrlich & Michael Disqué, »Das Theater des Krieges«, Leslie Jamison, » Die Empathie-Tests«, Sheila Heiti, » Mutterschaft«, Klaus Theweleit, » Männerphantasien«, Isabel Kranz, » Sprechende Blumen«, Swetlana Alexijewitsch, » Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« und Carolin Emcke, »Wie wir begehren« sind meine Top 8 dieser Bücher.

 

Die Fragen stellte Friederike Schilbach

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