»Ein Mix aus Trumanshow, Black Mirror und 1984 mit einer Prise Real Housewives«: Elina Penner über ihnen neuen Roman

Reality-TV trifft Bibelzitat, Satire verschmilzt mit bitterer Gegenwart: Im Gespräch über ihren neuen Roman »Die Unbußfertigen« erzählt Elina Penner, warum Trash-TV mehr über uns verrät, als wir wahrhaben wollen, wie nah ihre Fiktion der Realität kommt und weshalb Scham die Seite wechseln muss.

Das Buch erscheint am 13. Oktober
Die Unbußfertigen
Empfehlung

Die Unbußfertigen

Roman

Hardcover
22,00 €

»Die Unbußfertigen« klingt wie ein Bibelzitat, der Pfirsich auf dem Cover lässt aber eher auf einen ironischen Titel schließen. Was für ein Buch dürfen die Leser:innen erwarten?

Einen »Banger leider ohne Gangbang« – so formulierte es Johannes von @queerinliterature. Ein Einblick in eine fremde Welt für Leute, die nichts mit Social Media am Hut haben. Und ein Trip down Millennial-Memory-Lane für die Generation Y. Alle anderen erwartet schlicht packende Unterhaltung, schließlich will jeder wissen, wer am Ende übrigbleibt.

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "Ich würde es beschreiben als einen Mix aus Trumanshow, Black Mirror und 1984 mit einer Prise Real Housewives."

Der Titel ist tatsächlich aus der Bibel. Römer 2,5 warnt: »Du aber, mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.« Ich suchte ursprünglich nur nach dem Begriff für Menschen im Fegefeuer – jene, die sich weigern zu bereuen, obwohl sie Buße tun sollten. Genau das sind die zehn Gäste im Herrenhaus. Sie alle eint eine fatale Eigenschaft: mangelnde Selbstreflexion. Dabei geht es weniger um Schuld als um bewusstes Verhalten. Im Internet, geschützt durch vermeintliche Anonymität, benehmen sich Menschen ganz anders, als sie es IRL tun würden – oft abscheulich. Vielleicht denken sie, dass es im Netz nicht zählt.  Oder wir haben als Gesellschaft so viel Anstand verloren, dass wir nicht mal mehr vorgeben können, respektvoll miteinander umzugehen. 

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "Die zehn Protagonisten müssen das wieder lernen: miteinander klarkommen."

Was fasziniert dich an diesem Spannungsfeld zwischen Heilsgeschichte und Popkultur?

Wäre ich ein Kardashian, würde ich jetzt »Bible« sagen und das wäre so meta.

 

Dein Roman beginnt mit einer Szene aus einer Reality Show. Warum eignet sich Trash-TV so gut, um unsere Gesellschaft zu spiegeln?

Weil wir es alle konsumieren – ob wir es zugeben oder nicht. Selbst wenn wir es nicht aktiv gucken, wir bekommen es trotzdem. Mich beschäftigt das Thema seit meiner Teenagerzeit. 2005 schrieb ich meine erste Facharbeit im English-LK unter dem Titel »How Real is The Real World« – fünf Jahre nach der ersten deutschen Big-Brother-Staffel. Seither ist Reality-TV aus der Unterhaltungswelt nicht mehr wegzudenken. Die Motivation spielt keine Rolle: Schauen wir, weil wir an die wahre Liebe glauben (Love is Blind)? Um uns besser zu fühlen (Frauentausch)? Um es vermeintlich ironisch zu gucken (Germany’s Next Top Model)? Egal. Wir schauen es. Und das ist ok. »It is all sociology«, sagt Mrs. Obama. Oder in den Worten von Joan Didion: »We tell ourselves stories in order to live«. Deshalb gönne ich mir einmal im Jahr Laguna Beach und The Hills

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "An alle, die jetzt Kultursnobismus aus ihren Feuilleton-Nüstern prusten: Michelle Obama liebt Reality TV.Jon Oliver ist besessen von den Real Housewives. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch ihr Zahnarzt das Dschungelcamp schaut."

In deinem Roman hat ein Reality-Format globale Folgen – von Social-Media-Verboten bis hin zu einer neuen Zeitrechnung. Wie bist du beim Schreiben mit dieser Mischung aus Satire und politischer Realität umgegangen, und warum reizt es dich, diese Grenze bewusst unscharf werden zu lassen?

Die Grenze zwischen Satire und Realität verschiebt sich seit Jahren. Ich hatte schlicht Angst, dass mein Roman bei Erscheinen im Oktober bereits überholt sein könnte. Schließlich bestimmt »Das kannst du dir nicht ausdenken« schon längst unsere Nachrichten. Während des Schreibens passte sich die Realität gespenstisch meiner Geschichte an. Dialoge, ich Klaus oder Basti in den Mund gelegt hatte, las ich am nächsten Tag als Originalzitate von Politikern – diesseits und jenseits des Atlantiks. 

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "Während des Schreibens passte sich die Realität gespenstisch meiner Geschichte an. Sowohl die Bundestagswahl 2025 als auch die Vereidigung des 47. US-Präsidenten lieferten verstörende Parallelen."

Ich nenne es bewusst »dystopische Gegenwart« - Zukunft klingt zu weit entfernt. Vieles, was ich beschreibe, gab es bereits oder es ist Alltag für marginalisierte Gruppen. Das Internet dürfte kein rechtsfreier Raum sein, trotzdem bleibt Hass praktisch unverfolgbar. Besonders Frauen werden mir zustimmen: Es braucht erschreckend wenig, um online zur Zielscheibe zu werden. 

 

Deine Figuren schwanken ständig zwischen Selbstinszenierung und Scham. Was interessiert dich an diesem Spannungsfeld – und warum passt es so gut in unsere Zeit?

Gisèle Pelicots Satz »Die Scham soll die Seite wechseln« lässt mich nicht los. Scham an sich finde ich nicht so schlecht – aber sie muss die Richtigen treffen. Nicht jene, die nichts dafürkönnen, sondern beispielsweise Männer, die Frauen betäuben, um sie zu vergewaltigen und zu filmen. Die sollten sich schämen.

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "Social Media hat zu viel normalisiert. Ich wünschte, Menschen würden sich mal wieder ab und zu schämen – für das eigene Verhalten, wohlgemerkt."

Gegen Selbstinszenierung habe ich nichts. Allen, die sich nach einer Bühne sehnen, gönne ich diese von Herzen. Doch hier zeigt sich die Doppelmoral: Wer im Internet für Zuschaustellung kritisiert wird, sind meistens Frauen. Sie nutzen die verfügbaren Mittel, um innerhalb der Strukturen Anerkennung zu finden, auch monetäre. Eine durchschnittliche Influencerin schadet niemandem, warum wird sie also gehasst?

 

Der Ton des Romans ist zugleich böse und komisch. Wo hört für dich der Spaß auf – und wo fängt die politische Dringlichkeit an?

Die politische Dringlichkeit ist längst da – wenn wir sie nicht bereits verschlafen haben. Dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein soll? Da fängt der bittere Witz schon an. Von Stalking oder Hass Betroffene können darüber nicht lachen. Genauso wenig wie Menschen, die Esoterik-Influencer:innen auf den Leim gegangen sind.

Zitatgrafik aus Interview mit Elina Penner. Text: "Ich mache meine Witze und bin dankbar für das Privileg, meine Gedanken in Romane packen zu dürfen. Aber die Situation ist todernst."

Es gibt eine gesellschaftlich akzeptierte Incel-Kultur, die wir euphemistisch »Male Loneliness Epidemic« nennen – als bräuchten diese Männer nur ein Kuscheltier, um wieder klarzukommen und bitte endlich keine Frauen mehr zu ermorden. Die Radikalisierung Jugendlicher auf Social Media wurde erst zum Thema, als Parteien begriffen: Hier verlieren wir Stimmen. Kompetente Menschen einstellen, die sich um alle Social-Media-Kanäle kümmern? Wozu das denn? Wann fand die Corona-Aufarbeitung bei Jugendlichen statt? Wo wird Digitalkompetenz gelehrt? Ich kenne Eltern aller Bildungsschichten, die ihren Grundschulkindern Smartphones in die Hand drücken – wahlweise gedankenlos oder in der rührenden Annahme, ihre braven Kinder würden schon keinen Schabernack damit anstellen.

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