24. Febr. 2022

Elina Penner über ihren Debütroman »Nachtbeeren«

Elina Penner erzählt von Nachtbeeren und Notwohnungen, dem dunklen, guten Humor von Plautdietschen und warum sie ihr Debüt ohne Olga Grjasnowa nicht geschrieben hätte.

Ihr Roman erscheint am 14. März 2022

Liebe Elina, was sind Nachtbeeren?

Für mich sind sie ein Snack. Für die Bücher, mit denen ich aufgewachsen bin, eine hochgradig giftige Pflanze, die unbedingt gemieden werden sollte. Hat mich schon als Teenager verwirrt, also schrieb ich ein Buch über das Paradoxe an der Wahrnehmung von sogenannter Gefahr. In diesem Fall geht es um Menschen mennonitischen Glaubens bzw. Plautdietsch Sprechende. Die snacken Nachtbeeren genauso gern wie Menschen in Nordamerika oder in Afrika.

 

Wo wachsen sie und was kann man damit machen?

Überall. Wirklich. Ich habe sie schon in Marzahn, Mitte und Minden gesehen. Neben dem Eingang der Bücherei, oder hinter unserem Schuppen. Heute erst habe ich gelernt, dass sie noch unkaputtbarer sind, als ich es beim Romanschreiben angenommen hatte. Teigtaschen werden damit gefüllt und Blechkuchen, Plautz, kann man damit machen. Hauptsache viel Zucker drauf, denn bitter sind sie wirklich.

Was hast Du mit Nelli, der Hauptfigur Deines Romans, gemeinsam?

Es ist nicht mein Leben, das in „Nachtbeeren“ beschrieben wird. Auch. Aber nur wie Puderzucker obendrüber gestreut auf die dicke fette Waffel, die aus den Geschichten besteht, die ich mein ganzes Leben lang hören durfte.

Mit Nelli verbindet mich außer dem Alter und der Herkunftssprache nichts. Aber ich glaube, so ziemlich jede russlanddeutsche Person, die zwischen 1980 und 1990 in der Sowjetunion geboren wurde, kann die Stationen in Nellis Leben nachvollziehen. Und die zig Verwandten, Cousins, Tanten, Onkel, ewig lebende Großeltern.

 

Welche Stationen meinst Du?

Wir waren alle in einem Zug, in einem Flugzeug, in einem Lager, in einer Notwohnung und in einem Mix Markt. Die Erfahrung, selbst im Orsay oder im Takko in der Reduziert-Abteilung einkaufen zu müssen, und das unangenehme Gefühl, von Verkäuferinnen in großen ‚guten‘ Kaufhäusern beobachtet zu werden. Aber dafür muss man nicht Russlanddeutsch sein – das ist wahrscheinlich jedem bekannt, der prekär oder an der Armutsgrenze oder einkommensschwach aufgewachsen ist.

 

Was unterscheidet Dich von Nelli?

Ganz klar natürlich, dass ich nicht fromm bin. Ich bin außerdem hart berufstätig, habe studiert, bin weggezogen, habe im Ausland gelebt. Ich habe auch nicht mit 20 mein erstes Kind geboren, wobei 27 in Berlin sich schon fast wie eine Teenage-Mom anfühlt. Diese Faktoren reichen aus, um eine ernsthafte Ähnlichkeit auszuschließen. Und for the record: Wir besitzen zu Hause keine Tiefkühltruhe, und mein Mann liebt sein Büro im Keller.

 

Mit welcher Figur hast du mehr gemeinsam?

Wahrscheinlich mit Eugen. Nellis Bruder, der wegzog, die Distanz brauchte und suchte, um dann zurückzukehren.

 

Du sagst über Deinen Roman, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Warum?

Meine Leute, also ohnse, sind unfassbar witzig. Ich habe noch nie einen langweiligen Plautdietschen getroffen. Sie sind unfassbar witzig, egal wie viel Schlimmes ihnen passiert. Immer, sofort, wenn ich irgendwo Russlanddeutsche kennenlerne, lachen wir, und zwar meistens über wirklich ernste Themen. Das kann makaber wirken auf jemanden, der ohne struggles aufgewachsen ist. Aber ich bin einem Humor aufgewachsen, der so schwarz, so absurd ist, dass ich über so ziemlich alles Witze machen kann. Die Figuren in „Nachtbeeren“ spiegeln das wider.

 

Nelli kommt als kleines Mädchen als Russlanddeutsche nach Minden. Was ist für sie Zuhause?

Sie hat keins, sie sucht es, und glaubt, es in der Gemeinschaft der Kirche und im Glauben zu finden. Was teilweise  funktioniert. Eugen würde sagen, dass Nelli lernen muss, klarzukommen. Dann wird sie vielleicht ihr Zuhause finden.

 

Dein Lieblingssatz im Roman?

Ganz klar: „Ich werde euch alle beerdigen.“ Es ist das Schicksal von uns allen, dass wir früher oder später Menschen beerdigen müssen, die wir lieben. Das tut weh. Es ist ein furchtbarer Moment, wenn wir Erde auf einen Sarg werfen, und zugleich erlösend. In meiner Kultur sind Beerdigungen prinzipiell nichts Schlimmes, ich bin als Kind mit Aufbahrungen und offenen Särgen aufgewachsen.

 

Welche Autor:innen waren für Dich wichtig auf dem Weg, selbst Autorin zu werden?

Olga Grjasnowa. Olgas Debütroman war ein Moment in der deutschen Literaturgeschichte, der alles verändert hat für Menschen wie mich. Sie ist nur ein paar Jahre älter, lebte in Berlin, und kam aus der ehemaligen Sowjetunion. Ich war fest davon überzeugt: Wenn sie das kann – vielleicht habe ich eine Chance.

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