Juliane Schäuble und Annett Meiritz über konservative Frauen als Machtfaktor in den Vereinigten Staaten
In Ihrem Buch beschreiben Sie die besondere Rolle konservativer Frauen als Faktor in der US-amerikanischen Politik und Gesellschaft. Wer sind diese Frauen und was treibt sie an?
Sie sind vor allem etwas nicht: schüchtern und bescheiden. Die Frauen, die wir porträtieren und als Machtfaktor in den Vereinigten Staaten wahrnehmen, wollen mitreden, wenn es um die Zukunft des Landes, um die Besetzung wichtiger Ämter oder um die Frage geht, was ihre Kinder in der Schule lernen. Sie wollen selbst Einfluss nehmen, nicht einfach nur die Männer in der ersten und zweiten Reihe stärken. Die meisten von ihnen sind religiös, ehrgeizig, selbstbewusst – und skeptisch gegenüber zu viel staatlicher Einmischung. Manche sind extrem in ihren Ansichten und ihrem Auftreten, Aktivistinnen für eine radikale Agenda. Aber viele sind auch pragmatisch und weniger ideologisch getrieben. Für ihre Werte und Überzeugungen sind sie alle bereit zu kämpfen. Und sie tun es mit Leidenschaft. Die meisten Frauen in dieser Gruppe sind weiß und christlich, aber wir beobachten auch zunehmend konservative Afroamerikanerinnen und Latinas, die selbstbewusst sagen: »Ich bin konservativ.« Auch die asiatischstämmigen Amerikanerinnen sind in dieser Frage sehr spannend, sie lassen sich nicht einfach in die Gruppe der Migrant:innen einsortieren, die »logischerweise« demokratisch wählt. Interessant ist auch, dass die meisten Anti-Abtreibungsorganisationen in den USA von Frauen geleitet werden. Wie übrigens auch die Waffen-Lobby-Organisation NRA.
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Mitte November finden in den USA die Midterms statt, also über das ganze Bundesgebiet stattfindende Wahlen zu Senat- und Repräsentantenhaus-Sitzen. Wie viel Einfluss haben die konservativen Frauenbewegungen?
Sie haben großen Einfluss. Das Urteil des Supreme Courts in der Abtreibungsfrage beispielsweise wäre ohne das jahrzehntelange Engagement konservativer Frauen nicht denkbar gewesen. Die Netzwerke, die wir beschreiben, stützen sich in Teilen gegenseitig: Immer wieder mal trafen wir bei Veranstaltungen Frauen, die wir in einem anderen Umfeld kennengelernt hatten. Diese Netzwerke kennen wir bisher eher vom linken Flügel der Politik – denken Sie an das »Squad« um Alexandria Ocasio-Cortez. Im Kongress unterstützt Elise Stefanik, die mächtigste Republikanerin im Repräsentantenhaus, gezielt Frauen im Midterms-Wahlkampf. Auch auf lokaler Ebene sind konservative Gruppierungen gut vertreten und hoch effizient. Und diese Anstrengungen tragen Früchte: 2022 treten mehr dieser Frauen bei den Kongresswahlen an als jemals zuvor. Dazu kommen die mächtigen, reichweitenstarken Influencerinnen in den Medien, die Stimmung gegen die Demokraten machen und damit der Republikanischen Partei Wählerinnen und Wähler zutreiben.
Die Aufhebung des Urteils zu Roe v. Wade, womit der rechtliche Status von Abtreibungen verbunden war, bestimmt als ein Thema den politischen Diskurs. Feministische Kräfte laufen Sturm. Doch die Gruppierungen von rechts behaupten auch, es ginge um Frauenrechte. Wie sieht der konservative Feminismus aus?
Konservative Frauen in den USA argumentieren vor allem damit, dass das ungeborene Leben auch Schutz verdient. Dass Frauen oft – aus emotionalen oder wirtschaftlichen Gründen – zu einer Abtreibung gedrängt würden, die eigentlich traumatisch für sie sei. Dies ist in ihren Augen kein Fortschritt, sie lehnen die Logik ab, dass Frauen nur durch das Recht auf Abtreibung gleichberechtigt sind. Ihre Argumentation lautet: Wir wollen Mädchen und Frauen stärken, sodass sie in der Lage sind, sich für Kind und Karriere zu entscheiden, nicht entweder oder. Dass es gleichzeitig die Republikanische Partei ist, die gegen mehr staatliche Unterstützung von Müttern (und Vätern) ankämpft, lassen sie dabei gerne unter den Tisch fallen. Es gibt keinen gesetzlichen Mutterschutz, Kinderbetreuung kostet ein Vermögen, und die Müttersterblichkeit ist eines der reichsten Länder der Erde unwürdig. Gleichzeitig konnte »Roe v. Wade« letztlich nur deshalb gekippt werden, weil das Grundsatzurteil einfach nicht gut genug war. Damit waren rein rechtlich auch Spätabtreibungen bis zur eigenständigen Lebensfähigkeit eines Fötus zulässig, also etwa bis zur 24. Woche. Zum Vergleich: In Frankreich sind Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur 15. Woche erlaubt – so ist es auch in manchen amerikanischen Bundesstaaten geregelt, darunter Florida. Allerdings sind hier meist deutlich weniger Ausnahmen zugelassen. Fakt ist: Die allermeisten Amerikaner und Amerikanerinnen sind der Meinung, dass Abtreibungen legal sein sollten, zumindest unter bestimmten Umständen. Gleichzeitig sind die meisten offen für Einschränkungen, vor allem, wenn es um Spätabtreibungen geht. Das liberale Amerika hat es nicht geschafft, hier einen Minimalkonsens zu erreichen.
Rechtskonservative Politiker wie Trump und seine Anhänger fallen immer wieder durch misogyne Verhaltensweisen oder Äußerungen auf. Warum führt das zu keinem Widerspruch?
Widerspruch gab und gibt es massenhaft, die Women’s Marches nach Trumps Amtsantritt sind ein Beispiel. Aber die anhaltende Kritik an ihm und die Fokussierung auf ihn hat auch viele verprellt. Vielen Frauen wäre es lieber, dass Alltagsprobleme die meiste Aufmerksamkeit erhalten und nicht jede einzelne Äußerung eines Präsidenten. Wer mit konservativen Frauen spricht, hört auf den Satz: »Seine Rhetorik mag ich nicht, wäre er mein Sohn, würde er ganz schön Ärger kriegen. Aber ich finde seine Politik gut. Und es hilft doch auch uns Frauen, wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht.« Außerdem hat sich die Polarisierung inzwischen so tief in die amerikanische Gesellschaft eingegraben, dass Attacken des politischen Gegners ganz automatisch zu einer Wagenburgmentalität führen. Sagen wir so: Gut möglich, dass viele dieser Frauen Donald Trump als nützlichen Idioten ansehen, um ihre Ziele zu erreichen.