Der nächste Brandherd vor unserer Haustür?
In ihrem Buch beschreiben Sie, dass es in den vergangenen Jahren regelmäßig zu Provokationen entlang der serbisch-kosovarischen Grenze gekommen ist. Gerade findet ein massiver Truppenaufmarsch serbischer Streitkräfte statt. Ist das eine neue Qualität, die zu einem weiteren Krieg in Europa führen könnte?
Wenn serbische Soldaten im Kosovo einmarschieren würden, riskierten sie einen Konflikt mit den internationalen Friedenstruppen KFOR, die von der NATO geleitet werden. Eine solche Auseinandersetzung könnte sich Serbien nicht leisten, und die NATO könnte sich nicht leisten, dem stillschweigend zuzuschauen. Es scheint mehr die Absicht Serbiens zu sein, eine Dauerkrise zu schaffen, durch die eine Grenzänderung als einfache Lösung für den Westen wieder attraktiv wird. Auch wenn ein Krieg unwahrscheinlich ist, versucht Serbien durch bewaffnete Truppen Tatsachen zu schaffen. Hinzu kommt: Außer Serbien, Bosnien und Kosovo sind alle Staaten auf dem Balkan in der NATO, so wird die Gewaltspirale zu einer europäischen Bedrohung.
Zum Tagesschau-Gespräch mit Florian Bieber
Die Außenministerin von Kosovo Donika Gërvalla-Schwarz bittet die EU um Unterstützung. Wie hat die EU bislang auf diese Bitte reagiert?
EU-Staaten, darunter Deutschland, haben einen Rückzug serbischer Truppen von der Grenze verlangt. Aber es bedarf noch mehr: Einerseits müssen die aktuellen Zwischenfälle untersucht und die Verantwortlichen identifiziert werden. Diese Aufgabe kann nicht der serbischen Regierung überlassen werden, denn diese ist nicht zuverlässig. Andererseits muss die EU eine rote Linie aufzeigen, welche Drohgebärden nicht akzeptabel sind. Zu einer Deeskalation muss auch gehören, dass Serbien rhetorisch abrüstet. Die serbischen Medien, von Vučić kontrolliert, berichten fast täglich von einem drohenden Krieg und beschuldigen Kosovo für die Gewalt verantwortlich zu sein. Diese Rhetorik verschärft die Krise.
Hätte die EU dazu beitragen können, die Konflikte zwischen Kosovo und Serbien zu lösen?
Ja, die EU hat es jahrelang verfehlt transparente Verhandlungen zu führen, bei denen klare Abkommen herauskommen. Die bisherigen Übereinkünfte lassen vieles unklar und ermöglichen es Serbien und Kosovo, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Gerade beim letzten Abkommen hat sich Vučić schon am nächsten Tag herausgeredet, während die EU-Vermittler so taten, als stünde das Abkommen. So etwas geht nicht. Um eine Lösung herbeizuführen, braucht es einen klaren Zeitplan, Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen, die die Bevölkerung im Kosovo und in Serbien mitnehmen. Das kann der derzeitige Prozess leider nicht liefern. Außerdem hat die EU bisher zu sehr auf inländische Eliten gesetzt und sich auch von ihnen manipulieren lassen.
Hinzu kommt, dass es keine einheitliche europäische Linie gibt. Ungarns Regierungschef Viktor Orban unterstützen offen Vučić und Länder, die den Kosovo nicht anerkennen. Das Angebot einer EU-Mitgliedschaft für beide Länder ist längst nicht mehr überzeugend. Kosovo fehlt die Anerkennung durch fünf EU-Staaten. Die langjährigen Blockaden, die Nordmazedonien durch Griechenland, dann durch Frankreich und schließlich durch Bulgarien erleben musste, signalisieren Kosovo und Serbien, dass unabhängig davon, wie kompromissbereit sie sind, ein EU-Mitglied sie jederzeit blockieren kann.
Wie wirkt sich die derzeitige Krise auf die gesamte Region des Westbalkan aus?
Sie wirkt sich destabilisierend aus. Wenn Grenzen in Frage gestellt werden und auch die Nachkriegsordnung, dann wankelt Bosnien und die gesamte Region. In Bosnien besteht ja auch eine Dauerkrise, die den Nationalisten vor Ort passt. Wenn Gewalt wieder normal wird, dann kann das als Ermutigung auch dort gelten. Außerdem hat die derzeitige Krise auch auf Montenegro und Nordmazedonien Einfluss. Je weniger die EU in der Lage ist, Stabilität herzustellen, Desinformation aufzuklären, umso mehr leidet ihr Ansehen in der Region, zum Vorteil von Nationalisten und zum Nachteil von Demokraten.
Welcher ausländischen Macht hilft die Instabilität des Balkans am meisten?
Die Instabilität nützt im Moment Russland am meisten. Russland wünscht sich eine Schwächung des Westens und somit ist jede Krise willkommen. Auch wenn Russland wenig direkten Einfluss hat, ermutigt es jene Politiker und Medien, die die Krisen schüren und antiwestliche Desinformation propagieren. Andere Mächte, wie China wünschen sich wirtschaftlichen und auch politischen Einfluss auf dem Balkan, aber nicht Instabilität. Denn die ist für ihre wirtschaftlichen Interessen nicht vorteilhaft.