Ausstellungskatalog »Ein anderes Land – Jüdisch in der DDR« des Jüdischen Museum Berlin ist eines der »schönsten deutschen Bücher 2024«
Der Katalog »Ein anderes Land – Jüdisch in der DDR« zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin wird von der stiftung buchkunst in der Kategorie »Sachbuch« als eines von fünf »schönsten deutschen Büchern 2024« ausgezeichnet.
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Seit über 50 Jahren begleitet die stiftung buchkunst die deutsche Buchherstellung, fördert das vorbildlich gestaltete Gebrauchsbuch und verschafft ihm durch bedeutende Wettbewerbe ein viel beachtetes Forum. »Die schönsten deutschen Bücher« – vorbildlich in Gestaltung, Konzeption und Verarbeitung – werden jedes Jahr von einer unabhängigen Jury prämiert.
Herausgegeben haben den Katalog, 2023 im Ch. Links Verlag in deutscher und englischer Version erschienen, die drei Kuratorinnen der Wechselausstellung, Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke und Theresia Ziehe.
Auf der Longlist des Wettbewerbs standen von den Aufbau Verlagen neben »Ein anderes Land« ebenfalls »Eine Jugend in Deutschland« von Ernst Toller, erschienen bei der Anderen Bibliothek, sowie »Die ehrenhafte Ernte«, erschienen bei Aufbau.
Begründung der Jury
Nicht nur das Thema, auch die besondere Konstruktion des Klappenumschlages weckt unmittelbares Interesse. Die vordere Klappe ist nicht wie üblich eingeschlagen, sie ist – wie soll man sagen – ausgeschlagen? Jedenfalls verdeckt sie – nach außen geklappt – den eigentlichen Umschlag und versteckt zu zwei Dritteln dessen Bildmotiv: eine Mutter mit Tochter und Neffe neben Passanten auf der Berliner Stalinallee.
Die Kapitel im Ausstellungskatalog zu jüdischem Leben in der DDR beginnen mit der Präsentation eines Bildteils. Den privaten Fotografien, historischen Dokumenten und Objekten folgen die Aufsätze. Eine kräftige serifenlose Schrift nutzt nahezu das gesamte Format aus. Extrem schmale Ränder – die Seitenzahlen sind nicht einmal fünf Millimeter vom Schnitt entfernt – bewirken eine hohe typografische Dichte. Fünf verschiedene Satzbreiten stehen zur Verfügung, um die Textsorten abwechslungsreich und sinngebend zu strukturieren. Immer sind sie nach vorne, zum Vorderschnitt hin orientiert, zum Bund hin ergeben sich Freiräume. So macht beispielsweise auf einer Seite eine verschmälerte Kolumne Platz für eine Marginalspalte, während die gegenüberliegende ihre Zeilenlänge behält. Oder beide Seiten verbreitern zum Bund hin den schmalen Raum gerade so, um die Kapitelüberschrift als Kolumnentitel aufzunehmen, und zwar als Variante in die Senkrechte gedreht. Im Bildteil steuert eine solche Drehung der Bildlegenden die Aufmerksamkeit, die den Fotografien zugutekommt.
Zur Buchgestaltung
Siyu Mao greift mit der Gestaltung des Buchs die Sehnsüchte und Illusionen, die persönlichen Erinnerungen und die historischen und politischen Rahmenbedingungen auf, die das JMB in seiner Ausstellung zeigt: »Das Cover ist zur Hälfte von einer Klappe verdeckt, die das Titelbild teilt, auf dem eine jüdische Familie in der DDR abgebildet ist. Aufgeklappt kann man das gesamte Bild entdecken. Die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in der DDR ist eines der zentralen Themen der Ausstellung, mit dem auch die Gestaltung umgeht«, sagt Siyu Mao. Die Ausstellung selbst zeigt viele Objekte und Zeugnisse von Privatpersonen. Die Bedeutung, die diesen Exponate für die Erinnerung ihrer Besitzer:innen zukommt, nimmt der Katalog auf, indem er die Objekte möglichst groß darstellt. Bildunterschriften sind dabei an der Seite der Bilder um 90 Grad gedreht, um die Wirkung der zum Teil alltäglichen Objekte noch stärker hervorzuheben. »Ich wollte mit meiner Gestaltung die Emotionalität des Themas rahmen und gleichzeitig die Relevanz privater Erinnerungen, Erfahrungen und Überzeugungen für die Entwicklung gesellschaftlicher Lebenswelten zeigen«, so Siyu Mao.
Die Ausstellung, die bis Mitte Januar 2024 im JMB zu sehen war, lotete das Spannungsfeld unterschiedlicher jüdischer Selbstverständnisse in der DDR aus. Nach der Erfahrung der Schoa hatten viele Jüdinnen und Juden gehofft, mit der DDR einen freien, antifaschistischen, sozialistischen Staat (»ein anderes Land«) aufzubauen. Was aus ihren Hoffnungen wurde und wie Jüdinnen und Juden heute auf die DDR blicken, zeigte die Ausstellung in Objekten und Berichten. Diese individuellen Perspektiven und Erfahrungen sind im Ausstellungskatalog versammelt und werden durch 20 Artikel von Zeitzeuginnen, Wissenschaftlern, Historikerinnen und Künstler:innen ergänzt.