»Mein innerer Teenie mag Nietenhalsbänder«: Sonja M. Schulz über »Mauerpogo«

»Mauerpogo« spielt in einem fiktiven Ort, basiert aber auf wahren Begebenheiten. Wie stark wurdest du von Tatsachenberichten inspiriert, und wo setzt die Fantasie ein?
Mauerpogo
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Roman
Ich habe im Frühjahr 2019 eine Frau kennengelernt, die in der DDR Punk war, dadurch ins Visier der Staatssicherheit geriet und schließlich ihr Land, ihre Familie und Freunde verlassen musste. Sie ist mit mir in ihre Vergangenheit gereist, hat mich auch ihre Stasi-Akte lesen lassen. Ab da habe ich weiter zu Punk und Jugendopposition in der DDR recherchiert und Interviews geführt. In den letzten Jahren sind viele Erfahrungsberichte von damals Beteiligten erschienen, die Geschichten von Bands wie Namenlos oder Schleim-Keim wurden festgehalten, Ausstellungen wie ostPUNK! / too much future haben das Thema öffentlicher gemacht. All das ist der Tatsachenuntergrund, auf dem die Fiktion von Mauerpogo gewachsen ist. Aber ich wollte von keiner realen Person oder Band erzählen. Zum einen, weil ich es schwer fände, einer persönlichen Biografie überhaupt gerecht zu werden. Zum anderen, um mehr Freiheit beim Schreiben zu haben.

Was beim Lesen so viel Spaß macht, ist der Sound, den du für deine Hauptfigur gefunden hast. Wie kamst du zu diesem rotzigen Sprech?
Ich habe eine rotzige Stimme in mir, die sich immer freut rauszudürfen. Ich mag Jargons, die Eigenheit von Subkultursprachen, Gruppensprachen, Worterfindungen, mag es, wenn Sätze Power und Rhythmus haben, gern auch dreckige Poesie. Wenn man drauf tanzen kann, ist es gut geworden. Es hat allerdings eine Weile gedauert, tief in den Gefühlshaushalt eines Teenies tauchen zu können. Und eine Erzählung im Präsens-Ich ist nicht die leichteste Perspektive: immer im Kopf der Heldin stecken, in ihren teils stürmischen Gefühlen, im Moment.

Die Playlist zum Buch
In »Mauerpogo« geht es um Freundschaft und Mut inmitten politischer Unterdrückung. Was interessiert dich an diesem Spiel zwischen Solidarität, Konformität und Rebellion?
Aus dramaturgischer Sicht steckt in der Ausgangslage eine enorme Kraft: Jemand ist 14, hungrig nach Leben, will sich nicht ins tägliche Grau einfügen und hat plötzlich einen ganzen Unterdrückungsapparat mit Polizei und Geheimdienst gegen sich. Aus einer kleinen persönlichen Handlung entwickelt sich Schritt für Schritt eine Politisierung.
Mich interessiert grundsätzlich, wie sich Einzelne in normativen Systemen und unter autoritären Regimes verhalten. Bin ich bereit, für meine Überzeugungen einzustehen? Handle ich, frei nach Bettina Wegner, nach dem Gebot: »lauter schrein, wenn andre schweigen«? Zu welchem Preis? Zeige ich offen Solidarität oder Widerstand? Wo muss ich mich und andere schützen? Und wer will das moralisch beurteilen.

Was fasziniert dich persönlich am Phänomen Punk?
Die Kraft, das Rohe, die Sichtbarkeit. Die Chuzpe, mit nur drei Akkorden einfach loszulegen. Das lustvolle Aufsprengen der Norm. Die Schönheit im Kaputten. Mein innerer Teenie mag Nietenhalsbänder.
Fasziniert hat mich aber vor allem der Ostpunk. Hier war man aufs Selbstgemachte angewiesen, es war viel mehr Kreativität gefragt, was Outfits und das Beschaffen/Bauen von Instrumenten betraf. Und Ostpunk war politisch. Während auch Punks im Westen von braven Bürger:innen schon mal ein »Dich hat Hitler wohl vergessen!« hinterhergerufen wurde, gab es im Osten zusätzlich zu solchen Reaktionen eine harte staatliche Verfolgung der Jugendkultur. Zukunftspläne wurden zerstört, manchmal ganze Biografien. Ich bewundere den Versuch, sich dennoch nicht brechen zu lassen. Und der Mut einer Sängerin wie Jana Schlosser, die nach ihrer Gefängnisstrafe gemeinsam mit ihrer Band mit genau jenen Liedern wieder aufgetreten ist, die sie hinter Gitter gebracht haben.





