14. Febr. 2022

Cremig, gehaltvoll, goldfarben – Ursula Gräfe über ihre Übersetzung von Asako Yuzukis Roman »Butter«

Die japanische Autorin Asako Yuzuki hat mit »Butter« einen Roman über Genuss und Lebenskunst geschrieben. Es ist auch die Geschichte einer weiblichen Befreiung davon, wie man als junge Frau zu leben, zu lieben und auszusehen hat. Friederike Schilbach, Lektorin bei Blumenbar, hat mit Ursula Gräfe, der Übersetzerin von »Butter«, die auch Autoren wie Haruki Murakai und Sayaka Murata ins Deutsche überträgt, über das Buch gesprochen.

Liebe Frau Gräfe, Sie haben den Roman »Butter« von Asako Yuzuki aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt. Worum geht es darin?

Der jungen Reporterin Rika gelingt es, ein Interview mit der verurteilten Serienmörderin Manako Kajii zu bekommen, die in Tokio im Gefängnis einsitzt. Kajii soll sich mittels ihrer Kochkünste das Vertrauen mehrerer Männer erschlichen, diese dann um Geld betrogen und schließlich umgebracht haben. Rika beschließt, hinter die Kulissen der öffentlichen Meinung zu blicken, die Kajii vor allem wegen ihres Übergewichts zu hassen scheint. Im Laufe des Romans gerät Rika zunächst in den Bann der charismatischen Mörderin, als diese sie in die Freuden der Gourmetküche einführt. Zudem bringt die Gefängnisinsassin mit ihrer demonstrativen schillernden Weiblichkeit Rikas festgefügtes Weltbild mehr als einmal ins Wanken. Dann gibt es noch Rikas beste Freundin Reiko, die plötzlich für Rika unergründliche Verhaltensweisen an den Tag legt. Nach mehreren unvorhersehbaren Wendungen ist keine der Figuren im Roman mehr die, die sie zu Anfang zu sein schien.

Und wofür steht Butter im Roman?

Butter ist das Leitmotiv des Romans. Als Inbegriff von Nahrung, cremig, gehaltvoll, seidig, goldfarben im geschmolzenen Zustand, verfeinert sie jede Speise. Auf der anderen Seite ist sie eine kalorienreiche Verlockung, zu viel davon kann tödlich sein. Damit steht das Lebensmittel Butter nicht nur für gutes Leben, die Überwindung einer Schlankheitsdiktatur, hohe Kochkunst und verschwenderischen Luxus, sondern auch für die Ambivalenz der Feinschmeckerin, vermeintlichen Mörderin und Lebedame Manako Kajii.

Essen und Trinken, Genuss, Sinnlichkeit und Verführung spielen im Roman eine große Rolle. Man sitzt mit den Protagonistinnen in Soba-Nudelbars in Tokio, isst mit ihnen Reis mit Butter und Sojasauce und Boeuf Bourguignon. Wie war das für Sie, die Essensszenen zu übersetzen?

Die Essens- und auch Kochszenen waren vielleicht sogar die größte Herausforderung beim Übersetzen, denn Asako Yuzuki versteht es, den sinnlichen Genuss raffinierter und auch einfacher Speisen in sehr anschauliche Bilder zu verwandeln. Gar nicht leicht zu übersetzen waren Rikas kulinarische Eindrücke beim Verzehr eines Fünf Gänge-Menüs im berühmten französischen Restaurant Joel Robuchon im Ebisu Garden Place in Tokio, bestehend aus „Foie Gras mit in Butter sautierter tief orangefarbener Kaki“ und vielen anderen Delikatessen. Hinzu kam die Schilderung japanischer Spezialitäten, die mir neu waren, wie zum Beispiel Hizunamasu – süßsaurer Knorpel vom Lachskopf – und bestimmter regionaler Speisen. Und immer wieder die verschiedenen köstlichen Eigenschaften von Butter.

 

Manako Kajii, die in Tokio im Gefängnis sitzt, weil sie ein unglaublich sinnliches Leben geführt und angeblich mehrere Männer umgebracht haben soll, führt hinter Gittern ein fast freieres Leben als Rika, die junge Journalistin. Wie kann das sein?

Das ist, glaube ich, ein raffiniertes Gedankenspiel mit mehreren Facetten, eine bestimmte Fährte, auf die die Autorin ihre Leser:innen lockt, um sie dann herauszufordern, darüber nachzudenken, was wirklich zutrifft. Sie ist eine Meisterin der Versuchsanordnung.

 

Die Figur Manako Kajii ist von einer realen Person inspiriert, einer japanischen Heiratsschwindlerin und Serienmörderin...

Ja, Asako Yuzuki hat sich erklärtermaßen vom Fall der Kanae Kijima inspirieren lassen, die ab 2012 Medien und Öffentlichkeit in Japan in Aufruhr versetzte. Die übergewichtige Frau, wegen ihrer Unattraktivität von allen Seiten geschmäht, wurde wegen Mordes an drei Männern, die sie in großem Stil betrogen und ausgenutzt hatte, zum Tode verurteilt. Die inzwischen 47-jährige ist des Mordes an mindestens vier weiteren Männern verdächtig. Sie sitzt noch immer im Gefängnis, das Urteil wurde bisher nicht vollstreckt. 2015 hat der japanische Verlag Kadokawa ihr autofiktionales Buch „Verehrung“ herausgegeben. In »Butter« stellt sich die Protagonistin Rika wiederholt die Frage,  warum Manako Kajiis unvorteilhaftes Äußeres und ihr Gewicht in der Berichterstattung eine so viel größere Rolle spielen als ihre eigentlichen Verbrechen.

 

Welche Rolle spielt Kochen im Roman?

Kochen erfüllt, glaube ich, gleich mehrere Funktionen. Zum einen wird kritisiert, dass die Menschen sich auch in Japan immer weniger Zeit für die Zubereitung gesunder und schmackhafter Nahrung nehmen und diese immer noch als Hauptaufgabe von Frauen gesehen wird. Kochen steht auch für Gemeinsamkeit und Gemeinschaft, zum Beispiel in der exklusiven Kochschule „Salon de Miyuki“, in der sich Damen der besseren Gesellschaft freundschaftlich zusammenfinden. Für Rika bedeutet, für sich zu kochen, zugleich eine Rückkehr zu sich selbst und eine Fähigkeit, die sie aufgrund eines Traumas um den Tod ihres Vaters verdrängt hatte. Die Autorin zeigt in ihrem Roman das Kochen als eine elementare Tätigkeit, ja Voraussetzung, im menschlichen Leben. Kochen ist Macht. Und wer über diese Macht nicht verfügt, verhungert oder gerät in Abhängigkeit.

 

Welchen Leser:innen würden Sie den Roman »Butter« ans Herz legen?

Zuerst einmal natürlich den Leser:innen, die sich für Kochen und Genuss interessieren, zugleich aber Freude am Philosophieren über verschiedene Lebensentwürfe und Interesse an besonderen  Frauenfiguren haben. Asako Yuzukis Roman setzt sich kritisch mit weiblichen Rollenmustern auseinander, die durchaus nicht nur in Japan Gültigkeit besitzen. Besonders  ins Visier nimmt sie die Ansprüche, denen sich Frauen hinsichtlich ihres Äußeren ausgesetzt sehen. Traditionelle weibliche Lebensläufe sind für ihre Protagonistinnen ebenso wenig Option wie der steinige Weg supergestylter Karrierefrauen. Die Hauptfigur Rika verkörpert eine unabhängige nachdenkliche Frau, die sich am Ende für einen sehr persönlichen Lebensweg entscheidet.

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