»Ich wollte die großen Ideale der Aufklärung mit der Realität der Sklaverei konfrontieren«
Lieber David Diop, wie sind Sie Schriftsteller geworden?
Ich bin in Paris geboren, im Senegal aufgewachsen und dann zum Studieren nach Frankreich zurückgekehrt. Als Student habe ich mal eine selbst verfasste Kurzgeschichte ans Radio geschickt, bekam aber nie eine Antwort darauf. Danach schlug ich eine akademische Laufbahn ein. Vor etwa zehn Jahren verspürte ich aber wieder Lust, etwas Literarisches zu schreiben. Mein erstes Manuskript veröffentlichte ich 2012 quasi im Eigenverlag. Es handelt von der senegalesischen Delegation aus Saint-Louis, die zur Weltausstellung 1889 eingeladen wurde und sich dort schließlich in einem Zirkus zur Schau stellen musste. Bei meinen Recherchen fand ich heraus, dass damals in Frankreich Menschenzoos in Mode waren oder auch Negerdörfer aus nachgebauten Hütten, in man ihnen bei der Arbeit zusehen konnte. Doch mein Text war an einigen Stellen noch unbeholfen, und ich merkte, dass es besser wäre, mein Manuskript nicht direkt in den Computer zu tippen, sondern die Bilder in meinem Kopf lieber mit Stift und Notizbuch einzufangen.
Sie haben »Nachts ist unser Blut schwarz« also zunächst per Hand geschrieben?
Ja, und ich habe mir dabei selbst einige Hürden gesetzt. Unter anderem sollte das Buch die gleiche Emotionalität erzeugen wie die historischen Briefe der französischen Frontsoldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Die hatten mich in ihrer Intimität sehr berührt. Dann lernte ich eine Literaturagentin kennen, die an die Uni kam, um meinen Studentinnen und Studenten von ihrem Beruf zu erzählen. Der gab ich mein Manuskript zu lesen und hatte dank mehrerer Zusagen das unglaubliche Glück, mir einen Verlag aussuchen zu können. Auf der Buchmesse in Genf erhielt ich daraufhin den Prix Ahmadou-Kourouma, einen Preis, der mir sehr wichtig ist.
Hat der Erfolg Sie in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt?
Überhaupt nicht. Da ich recht spät zum Schreiben gekommen bin, hatte ich bereits gelernt zu leben. Und ich sagte mir: »Lass dir die Freude nicht verderben, denk nicht an den Rest.«
Wie kam es dann zu Ihrem neuen Buch, der »Reise ohne Wiederkehr«?
Der Botaniker Michel Adanson ist eine historische Person, über die ich im Rahmen meiner Forschung »gestolpert« bin. Als Literaturwissenschaftler befasse ich mich auch mit Reiseberichten. Und zwar dank Adanson. Der hat mich das Fachgebiet wählen lassen, nachdem ich seinen Bericht über den Aufenthalt in Senegal gelesen hatte, weil ich fand, dass er einen originellen, besonderen Blick auf die dortige Bevölkerung von 1749 hatte.
Wie alle Menschen in der Zeit reiste er mit seinen Vorurteilen, doch als Mann der Aufklärung wollte er nicht nur Flora und Fauna beschreiben, sondern auch von der Gesellschaft erzählen. Und ihm wurde schnell klar, dass die afrikanischen Gesellschaften ein Wissen besaßen, das andere Reisende, die fast ausschließlich Händler, also Sklavenhändler waren, nur geringschätzten. Als er feststellte, dass die Einheimischen über besondere botanische Kenntnisse verfügten, lernte er Wolof, um sich mit ihnen in der Landessprache auszutauschen. Bevor mir die Idee zu dem Buch kam, veröffentlichte ich über Adanson einen Artikel. Aber ein Senegalese, der an der Universität Basel promovierte, ließ mich wissen, dass einige Details meines Artikels nicht ganz stimmten. Er hatte Zugang zu allen Aufzeichnungen von Michel Adanson gehabt, zu allen Notizen, etwa seinen Berichten über die Totenwachen in den Dörfern, seine Gedanken über den Alltag der Bewohner, seine Transkriptionen von Märchen und Legenden.
Wie gelang Ihnen die Verbindung von Adansons persönlicher Geschichte und der Geschichte der Sklaverei, die ja auch Thema des Buches ist?
Über den historischen Kontext, in dem ich meine Figuren platziere. Die Senegalkonzession, die Adansons Reise finanzierte, war hauptsächlich im Sklavenhandel tätig. Ich wollte den Philosophen Adanson mit der paradoxen Diskrepanz zwischen großen philosophischen Ideen und der brutalen Realität der Sklaverei konfrontieren. Der historische Adanson macht den Vorschlag, den Sklavenhandel nach Amerika zu beenden und die Menschen stattdessen als Sklaven in Afrika arbeiten zu lassen. In seinem Testament vermacht er den beiden Personen, die sich um ihn kümmerten, einige Goldmünzen. Er empfand Freundschaft und Sympathie für die Neger vom Senegal, wollte aber nicht für ihre Freiheit kämpfen. Er zeigte eine ambivalente Position. Mein Interesse war es, genau diese Vielschichtigkeit darzustellen.
Sie legen Ihren Figuren vielfach das Wort »Neger« in den Mund. War es damals noch nicht rassistisch konnotiert?
Noch nicht, aber es fing an. Was das Wort später unhaltbar machte, war die Verbindung zur Sklaverei. Diese Kollusion, wie es in der Psychologie heißt, führt zu einer Abwertung, besetzte das Wort mit einem Makel, der sich erst durch die Trennung von »schwarz« und »Neger« wegwaschen ließ. Michel Adanson schrieb hingegen noch, dass »die Neger gar nicht so wild und ungebildet sind« wie in seiner Vorstellung. Für ihn war das Wort keinesfalls abwertend.
Die Sklaverei ist zwar eines der Themen Ihres Buches, aber nicht das zentrale. Warum?
Ich habe einen Roman über eine abenteuerliche Entdeckung und eine unmögliche Liebe geschrieben und wollte die großen Ideale der Aufklärung mit der Realität einer Zeit konfrontieren, in der die Sklaverei gerade ihren Aufschwung erlebt. Einige Philosophen, wie Diderot, lehnten sich gegen die Sklaverei auf. Bei Michel Adanson ist das weniger eindeutig. In seinem Reisebericht, der ihn als »negrophil« gelten ließ, schrieb er unter anderem, »die Neger würden mit ein wenig Ausbildung ausgezeichnete Astronomen abgeben«. Zwar sieht er die Afrikaner nicht als Wilde, dennoch zeigt er sich als ein Mann seiner Zeit, der zwischen den großen Idealen und seinen Vorurteilen hin- und hergerissen ist.
Hat sich der historische Michel Adanson wirklich in eine Sklavin verliebt?
In seinen Aufzeichnungen berichtet Adanson von einem sehr schönen, schamhaften Mädchen, das die Annäherungsversuche eines ausländischen Mannes abwehrt. Daraus habe ich die Liebesgeschichte gesponnen.
Hat der Romanautor in Ihnen manchmal das Gefühl, den Akademiker zu hintergehen?
Nein, ich betrachte das Romanschreiben als eine Art Nachschöpfung. Das birgt eine immense Freiheit. In der Fiktion bin ich niemandem etwas schuldig, anders als bei der akademischen Arbeit.
Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Quellen: Le Matin Dimanche, 19. September 2021, Interview: Pascale Frey; La semaine de Paris Match, 19.-25. August 2021, Interview: François Lestavel