»Saubere Zeiten«: Die dramatische Geschichte einer Unternehmerfamilie und ein großer Vater-Sohn-Roman
und die Schauplätze des Romans
»Saubere Zeiten« ist ein Familienroman, erzählt über drei Generationen, von der Nazizeit bis in die Gegenwart. Welche Themen bestimmen den Roman?
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Der Roman beginnt mit einem schmerzlichen Verlust, dem Tod der Mutter des Ich-Erzählers in seiner Kindheit. Doch vor allem ist »Saubere Zeiten« ein Vater-Sohn-Roman, weil ich von der schwierigen Beziehung zwischen Vätern und Söhnen in drei Generationen der Familie Auber erzähle. Diese Beziehungen sind geprägt von Unsicherheit und Sprachlosigkeit. Außerdem geht es um ein Familiengeheimnis, weil der Großvater sich im Dritten Reich schuldig gemacht hat. Und auch um Liebe geht es, um eine Liebe, die nicht gelingen will.
Das Wirtschaftswunderdeutschland ist voller Chancen und Verheißungen für Theodor Auber. Was hat Sie an dieser Zeit interessiert bzw. fasziniert?
Die Jahre nach 1945 waren Jahre des Aufbruchs. Alles entwickelte sich rasend schnell, und vieles schien plötzlich wieder möglich. Viele Menschen waren zukunftshungrig – und gleichzeitig zutiefst traumatisiert. Diese Ambivalenz hat mich fasziniert. Die Nachkriegsjahre waren auch Jahre des Verdrängens und der Reinwaschung. Theodor Auber, der Großvater des Ich-Erzählers in »Saubere Zeiten«, erfindet ein Waschmittel, mit dem er reich wird. Aber er erfindet auch sich selbst neu. Seine Erinnerung an das Dritten Reich verbleicht, er wäscht sich rein von seiner Schuld. Am Ende jedoch holt ihn die Vergangenheit ein. Man kann vor seiner Vergangenheit nicht davonlaufen.
Inwiefern ist das Schicksal der Familie Auber an die Geschichte Ihrer eigenen Familie angelehnt?
Die Grundkonstellation des Romans ist klar an meine eigene Familiengeschichte angelehnt. Mein Großvater hat das Waschmittel Rei erfunden und wurde damit in den Nachkriegsjahren sehr reich. Doch bereits Mitte der 50er Jahre ging er selbstverschuldet pleite. Die Handlung des Romans ist aber erfunden. Ich habe die Geschichte meiner Familie verwoben mit einer Geschichte um Schuld und Verdrängen, wie sie in vielen deutschen Familien hätte geschehen können oder geschehen ist. Es ging mir darum, erlebbar zu machen, in welchem Spannungsverhältnis zur eigenen Vergangenheit deutsche Familien und auch deutsche Unternehmen standen oder immer noch stehen.
Die Geschichte führt von der Mosel bis nach Brasilien. Was bedeuten Ihnen diese Orte?
Berlin, Trier, Rio de Janeiro – das sind die Orte auf der Welt, die ich am besten kenne und die mich am meisten geprägt haben. Ich bin in der Nähe von Trier aufgewachsen und habe bis zum Abitur dort gelebt. In Berlin habe ich studiert und lebe jetzt seit Jahren wieder hier. Und in Rio de Janeiro habe ich sechs Jahre lang als Korrespondent gewohnt und gearbeitet. Ich mag diese Orte sehr, sie sind mir wichtig. Hier meine Geschichte spielen zu lassen war ein lustvolles Fabulieren zwischen Wirklichkeit und Dichtung.
Rio de Janeiro ist im Roman eine Gegenwelt zu Deutschland. Was ist anders und worin liegt die Anziehungskraft dieses Ortes für Sie?
Rio de Janeiro hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Ich war betört von der Schönheit und Energie aber auch entsetzt über die Gewalt und die soziale Kluft. Ich denke, ich wollte der steifen und tristen Nachkriegsatmosphäre, in der der Roman teilweise spielt, etwas entgegensetzen: Emotionalität, Sensibilität, Sinnlichkeit. Deshalb landet der Ich-Erzähler Jakob auf der Suche nach dem Geheimnis der Familie Auber in Rio de Janeiro.
In Ihrem Hauptberuf arbeiten Sie fürs Fernsehen, als ZDF-Redaktionschef und Moderator des Morgenmagazins und Mittagsmagazins. Weshalb haben Sie sich dazu entschlossen, einen Roman zu schreiben? Wie haben Sie das Schreiben empfunden? Und was kann das Buch oder die Literatur, das das Fernsehen nicht kann?
Schreiben ist für mich großes Vergnügen, schwere Last und grenzenlose Freiheit zugleich. Es ist völlig anders als mein Beruf als Journalist. Als Journalist müssen alle Fakten stimmen. In einem Roman muss nichts stimmen, aber alles muss stimmig sein. Mir eine Geschichte auszudenken, Figuren zu entwickeln, zu staunen, in welche Richtung sich die Handlung entwickelt – das war faszinierend grenzenlos. Aber es war auch hart und frustrierend, etwa wenn es mal tage- oder wochenlang nicht weiterging. Literatur kann Welten erschaffen, Figuren zum Leben erwecken, Dinge spürbar machen, wie es der Journalismus nicht kann und auch nicht muss. »Saubere Zeiten« zu schreiben war für mich eine völlig neue, sehr persönliche, zarte und glückliche Erfahrung.
Die Fragen stellte Constanze Neumann.