07. Febr. 2024

»Die größte Herausforderung für die Leserinnen und Leser ist Ansels Menschlichkeit«

Wie schreibt man aus der Perspektive eines Serienmörders, ohne Klischees zu bedienen? Danya Kukafka, Autorin von »Notizen zu einer Hinrichtung«, übersetzt von Andrea O'Brien, über das Finden des richtigen Blickwinkels, das Schreiben über Verbrechen und die amerikanische Besessenheit von Kriminalgeschichten.
Notizen zu einer Hinrichtung
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In ihrem zweiten Bestseller »Notizen zu einer Hinrichtung“ erzählt Danya Kukafka die Geschichte des Serienmörders Ansel Packer. Kukafka erzählt dieses Leben durch ein Kaleidoskop von Frauen – eine Mutter, eine Schwester, eine Kommissarin der Mordkommission. Atemberaubend spannend und mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen zeichnet Kukafka ein erschütterndes Porträt von Weiblichkeit, während sie gleichzeitig das Narrativ des Serienmörders und unsere kulturelle Besessenheit von Kriminalgeschichten hinterfragt.

 

Liebe Danya, vielen Dank für deine Zeit. »Notizen zu einer Hinrichtung« ist ein großartiges Buch mit einer ganz besonders einzigartigen Erzählstruktur. Mich interessieren die Ursprünge der Entscheidung, die Geschichte des Serienmörders Ansel Packer aus der Perspektive von drei Frauen zu erzählen. Was hat dich zu diesem unkonventionellen Ansatz inspiriert?

Danke! Es hat tatsächlich ein paar Jahre gedauert, bis ich zu diesem Ansatz gefunden habe. Der Roman begann als Erkundung von Ansels Leben aus seiner Perspektive, zusammen mit einer Handlung von einer Figur namens Blue, die jetzt nur noch eine Nebenrolle spielt. Diese frühen Entwürfe haben einfach nicht funktioniert und haben sogar einige der Klischees verstärkt, die ich eigentlich aufbrechen wollte. Als meine Agentin es las, stellte sie eine Frage, die alles verändert hat: Was ist mit den Frauen? Die Idee der drei weiblichen Perspektiven hat da ihren Ursprung, und diese drei Perspektiven fühlten sich vom ersten Moment tiefer und richtiger an.

In deinem Roman erkundest du Themen wie Schuld, Moral und Gerechtigkeit. Könntest du mehr darüber erzählen, welche spezifischen Herausforderungen du beim Eintauchen in diese komplexen Konzepte hattest? Was waren die Schwierigkeiten dabei?

Natürlich – mein Buch soll herausfordern. Ich vermute, die größte Herausforderung für die Leserinnen und Leser ist Ansels Menschlichkeit. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die diese Menschlichkeit anerkennt, aber ihn nicht freispricht oder ihm vergibt. Um zu dieser Balance zu finden, habe ich viele Versuche gebraucht. Ich wollte, dass die Lesenden gleichzeitig mehrere Wahrheiten akzeptieren: dass Ansel bestraft werden muss, dass die Frauen im Mittelpunkt stehen sollten, und auch, dass Ansel ein Mensch ist, der Schmerz empfindet. Diese Wahrheiten können gleichzeitig existieren, aber selbst während ich das hier tippe, ringe auch ich selbst noch damit.

 

Dein Roman wird meist als »Spannungsliteratur« wahrgenommen. Mich würde interessieren, ob du »Notizen zu einer Hinrichtung« persönlich auch als Buch dieses Genres betrachtest und wenn ja, welche Aspekte des Genres dich am meisten interessiert haben.

Ich liebe Krimis und Thriller. Es ist wichtig, dass in jedem Buch, das ich schreibe – und in jedem Buch, das ich lese – die Spannung aufrechterhalten wird, vertieft wird. Ich denke immer über die Spannung meiner Geschichte nach, auf der Satzebene und auf der Szenenebene; ich denke darüber nach, was die Lesenden wissen und zu welchem Zeitpunkt der Geschichte wissen müssen. In diesem Sinne denke ich schon, dass der Roman zu diesem Genre zu zählen ist, und ich denke, dass das auch für all meinen zukünftigen Büchern gelten wird.

 

Die Sprache hat mich begeistert, du schilderst die emotionalen Feinheiten so überzeugend. Könntest du uns durch deinen Schreibprozess führen und erklären, wie du dorthin gelangst, dass die Sprache mit den tiefen emotionalen Schichten der Geschichte in Resonanz steht?

Danke! Für mich ist Sprache Charakter. Erst wenn ich den richtigen Ton für eine Figur gefunden habe, wird sie vollständig lebendig, und die Handlung ergibt sich daraus. Ich achte sehr auf meine Worte, welche Optionen in einem bestimmten Moment am effektivsten, interessantesten und charaktergetreu sein könnten. Praktisch gesehen bedeutet das viele Jahre des immer wieder Überarbeitens. Jedes Mal, wenn ich eine Szene überarbeite, verschiebe ich sie in ein separates Dokument und tippe sie dann aus dem Gedächtnis nochmal neu auf einer leeren Seite. Das mache ich viele Dutzend Male für schwierige Szenen, bis sich die Sprache genau richtig anfühlt.

 

Dein Buch nimmt auch eine kritische Haltung zu unserer allgegenwärtigen Faszination für Serienmörder ein. Was treibt deiner Meinung nach diese Faszination an, und betrachtest du sie als kulturelles Phänomen, vielleicht besonders in deiner Heimat USA?

Der Serienmörder ist tatsächlich ein einzigartiges amerikanisches Phänomen. Als ich für dieses Buch recherchierte, fand ich Dutzende von Fernsehsendungen über Ted Bundy, vielleicht unseren berüchtigtsten Promi-Mörder. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum wir ihn lieben und was wir uns von ihm erwarten, und viele der Charakterzüge von Ansel stammen aus diesen Überlegungen. Es ist ein kulturelles Phänomen, das über das allgemeine Interesse an True Crime hinausgeht. In pervertierter Weise sind wir neugierig darauf, wie jemand zu solcher Gewalt gelangt. Wir möchten wissen, wie es ist, ein Serienmörder zu sein, und dabei gleichzeitig einen sicheren emotionalen Abstand wahren. Diese Männer verkörpern viele höchst problematische amerikanische Obsessionen gleichzeitig, wenn man die soziologischen Aspekte aus den Erzählungen über Serienmörder herausnimmt.

Porträtfoto Danya Kukafka
Autor:in

Danya Kukafka gelang mit ihrem Debüt »Girl in Snow« auf Anhieb ein Bestseller, der in mehreren Sprachen erschienen ist.

Natürlich interessiert uns auch: Was können wir als Nächstes von dir erwarten?

Ich arbeite derzeit an einem neuen Roman – ich kann noch nicht viel darüber sagen, aber ich kann schon verraten, dass auch das neue Buch um Verbrechen kreist und gleichzeitig einige phantastische und spekulative Aspekte haben wird!

 

Interview: Anvar Čukoski

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