06. Febr. 2025

1989: Ohne Geld, ohne Plan – eine junge Frau aus dem Osten erobert sich Paris

Ulrike, die Heldin in Patricia Holland Moritz' neuem Roman »Drei Sommer lang Paris«, verschlägt es von Karl-Marx-Stadt nach Paris, wo sie den Geschichten verstorbener Schriftsteller:innen nachspürt und ihre eigene hinterfragt. Im Interview erzählt die Autorin, wie viel von ihr selbst in Ulrike steckt, und was die Stadt Paris als Schauplatz einzigartig macht.

Das Buch erscheint am 12. März.
Drei Sommer lang Paris
Empfehlung
Hardcover
24,00 €

In ihrem Roman »Drei Sommer lang Paris« erzählt Patricia Holland Moritz von der 21-jährigen Ulrike, die sich im Jahrhundertsommer 1989 auf den Weg von Karl-Marx-Stadt nach Paris macht. Ohne ein Wort Französisch zu sprechen, aber von immenser Neugierde getrieben, entdeckt sie die Stadt und damit eine völlig neue Welt als Einwanderin unter Einwanderern. Voller Lebenshunger, Wissensdurst und Leichtigkeit erzählt der Roman vom Mut einer Generation in den letzten Monaten der DDR und wirft einen ganz neuen Blick auf eine Stadt, die längst als zerschrieben gilt. Obendrauf gibt es eine wunderschöne, sehr zart berührende Liebesgeschichte.

Sie sind in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, aufgewachsen und haben als junge Frau in Paris gelebt und in einer Spedition gearbeitet. Wie viel von UIrike steckt in Ihnen?

In Ulrike steckt sicherlich viel von meinen eigenen Erfahrungen, aber sie ist nicht einfach ein Abbild von mir. Natürlich habe ich meine Zeit in Karl-Marx-Stadt, das Leben in der DDR und die intensiven Jahre in Paris in die Figur einfließen lassen. Die Spedition, das Gefühl der Fremde und der Reiz, eine völlig neue Welt zu entdecken, sind Aspekte, die ich aus erster Hand kenne. Auch Ulrikes Begeisterung für Literatur und ihr Drang, sich durch Bücher und Worte mit der Welt zu verbinden, spiegeln Teile meiner eigenen Leidenschaft wider.

Gleichzeitig ist Ulrike eine eigenständige Figur mit ihrer eigenen Geschichte. Sie lebt in einer literarischen Welt, die ich für sie erschaffen habe, und macht Erfahrungen, die nicht immer meine eigenen sind. Was uns jedoch verbindet, ist die Suche nach Freiheit – sei es künstlerisch, intellektuell oder im alltäglichen Leben. Ich denke, Ulrike verkörpert einen Teil von mir, den ich durch das Schreiben genauer erforschen konnte: die Sehnsucht nach Aufbruch, nach Neuanfängen und nach einem Leben, das von Neugier und Mut geprägt ist.

Aber anders als Ulrike hatte ich in Paris schon ein anderes Bewusstsein für das, was es bedeutete, die DDR zu verlassen und mich in einer neuen Welt zurechtzufinden. Bei ihr wollte ich mehr den unbedarften, fast kindlichen Blick zeigen, die Freiheit zum ersten Mal zu spüren und zu entdecken. Insofern ist Ulrike ein Teil von mir, aber gleichzeitig auch eine Figur, die es mir erlaubt hat, Fragen zu stellen, die ich damals vielleicht noch nicht stellen konnte.

Das Besondere an Ihrem Roman ist ja, dass man nicht nur Paris aus einer ganz unbedarften neuen Perspektive kennenlernt, aus den Augen einer literaturverliebten jungen Ostdeutschen, sondern gleichzeitig auch den Niedergang der DDR von außen, aus dem Ausland betrachtet, miterlebt. Was war Ihnen dabei wichtig zu transportieren oder gar zu widerlegen?

In meinem Roman war es mir besonders wichtig, die Komplexität und die Widersprüche dieser Zeit einzufangen. Ulrike bringt als junge Ostdeutsche einen Blick mit, der sowohl neugierig als auch kritisch ist. Sie erlebt Paris als Sehnsuchtsort der Freiheit und des kulturellen Reichtums, gleichzeitig aber auch als Ort der Armut und Diskriminierung, wie sie beides zuvor nicht kannte. Diese Perspektive ermöglicht es, die Wendezeit aus einer ungewöhnlichen Position zu beleuchten: von außen, mit einer gewissen Distanz, aber auch mit einem inneren Ringen um ihre eigene Identität und Moral.

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Die Autorin mit Klassenkameradinnen an der Alliance Française.

Ich wollte zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR nicht nur passive Beobachter der Wende waren, sondern aktiv nach einer Rolle in einer sich radikal verändernden Welt suchten. Ulrike ist das perfekte Beispiel dafür: Sie hinterfragt die Erzählungen, mit denen sie aufgewachsen ist, und setzt diese in Beziehung zu den Erfahrungen, die sie in Paris macht.

 

Kann man Paris besonders gut auf den Spuren verstorbener Künstler:innen und Berühmtheiten entdecken?

Absolut, denn diese Stadt atmet Geschichte und Kultur. Für mich war es ein zentraler Aspekt des Romans, Ulrike als literaturbegeisterte junge Frau auf diesen Pfaden wandern zu lassen. Paris wird durch die Werke und Geschichten von Hemingway, Gertrude Stein, den Surrealisten oder Simone de Beauvoir lebendig. Deren Aufzeichnungen und Lieblingsorte verleihen der Stadt eine besondere Tiefe, die über das bloße Sightseeing hinausgeht. Ich selbst empfinde Paris als eine Bühne, auf der vergangene Zeiten weiterleben.

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Recherchematerial, vorrangig aus dem DDR-Volksbuchhandel.

Die Spuren früherer Generationen von Künstlern und Hasardeuren sind pure Inspiration, diese Mischung aus Nostalgie und Neuentdeckung macht Paris zu einem einzigartigen Ort, an dem die Grenzen zwischen Realität und Mythos verschwimmen.

Was ich daran so faszinierend finde, ist, dass diese Orte – sei es ein Café, eine Straße oder ein Park – uns eine Verbindung zu Menschen und Ideen bieten, die die Welt verändert haben. Gleichzeitig sind diese Spuren jedoch nie statisch; sie verweben sich mit der Gegenwart. Ulrike entdeckt Paris nicht nur als Museum der Erinnerung, sondern auch als pulsierenden Ort, an dem sie ihre eigenen Erfahrungen macht und ihre eigene Geschichte schreibt. Die Stadt wird dabei zu einem Spiegel für ihre innere Entwicklung, während sie sich mit den großen Fragen von Freiheit, Identität und Schicksal auseinandersetzt.

Paris ist nicht nur eine Kulisse, sondern ein lebendiger Protagonist. Paris wird von Ulrike nicht nur erlebt, sondern auch ständig neu interpretiert, hinterfragt und mit persönlicher Bedeutung aufgeladen. Jede Generation, jeder Besucher und jede Figur projiziert ihre eigenen Träume, Ängste und Hoffnungen auf die Stadt, wodurch sich Paris stetig wandelt und doch seine Magie bewahrt. Die Stadt wird somit zu einem kulturellen und emotionalen Resonanzraum, der weit über ihre geografischen Grenzen hinauswirkt und Menschen auf der ganzen Welt inspiriert – als Symbol für Wandel, Kreativität und die Kraft, sich selbst neu zu erfinden.

Ich griff zur Rolleiflex und drückte ab

»Meine altertümliche Kamera war geeignet für die altertümliche Stadt mit ihren Menschenmengen, schaute ich doch von oben in den Sucher und war somit nicht sofort als Fotografin einer Straßenszene zu erkennen. Kein Affront gegen niemanden, und doch bekam ich sie alle in meinen Fokus. Klack. Ich wollte die Stadt erfassen wie Roger Melis mit seinen Fotos in 'Paris zu Fuß'. … Mit der Rolleiflex in meiner Hand war ich im Hintergrund des Treibens, wo jeder Aufmerksamkeit auf sich zog, der eine Kamera zückte, ich aber nur in ein Kistchen blickte und geräuschlos abdrückte. Ich schoss meine Fotos wie ein Heckenschütze. Die Filme füllten sich, die Rollen häuften sich. Ich hatte keine Angst. Vor niemandem.«

Aus  »Drei Sommer lang Paris«, S. 20

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Staßenfotografie, Sacré Coeur, Juli 1989.

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