07. Febr. 2024

»Wie man eine Hexe erkennt? – Man muss einfach herausfinden, ob sie einen mächtigen Mann verärgert hat!«

Marion Gibson forscht seit Jahrzehnten zum Glauben an Hexerei und zu Hexenverfolgungen gestern und heute. In »Hexen«, übersetzt von Karin Schuler und Thomas Stauder, erweckt sie in 13 Prozessen diejenigen wieder zum Leben, die zum Opfer der Verfolgungen wurden und werden und gibt ihnen ihre Stimmen zurück. Im Interview zeigt sie, wie der rote Faden der Hexenjagd sich bis in die Gegenwart zieht – und was das ganz aktuell mit unserer Gesellschaft und den Rechten insbesondere von Frauen weltweit zu tun hat.

Ihr Buch ist eine Geschichte des Glaubens an Hexen von den letzten Tagen des Mittelalters bis zur Gegenwart und zeigt, wie sich das Konzept der Hexerei und der Hexenverfolgung im Laufe der Zeit gewandelt hat. Was ist eine Hexe im Laufe der Geschichte?

Hexen
Empfehlung

Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute
Hardcover
28,00 €

Hexen haben sich im Laufe der Zeit verändert. Früher dachte man, eine Hexe sei eine Person (in der Regel eine Frau), die Magie einsetzte, um Menschen zu schaden. Aber im 15. Jahrhundert begannen einige Kirchenmänner zu glauben, dass Hexen den Teufel anbeteten, um Macht zu erlangen, und sie begründeten eine neue Verschwörungstheorie, die Dämonologie. Hexen wurden als dämonische Ketzer:innen und Verbrecher:innen dargestellt. Diese Definition verbreitete sich in ganz Europa, von den Alpen bis nach Skandinavien und Großbritannien, und dann auch in den amerikanischen Kolonien. Sie führte zu Massenprozessen gegen mutmaßliche Hexen. Aber im 18. Jahrhundert stellten Juristen, Politiker und Historiker die Existenz von Hexerei in Frage. Die Gesetze wurden geändert: Staatsanwälte erklärten, Magie sei Trickserei und keine satanische Bedrohung. Das rettete Leben, bedeutete aber auch, dass Menschen, die glaubten, sie hätten tatsächlich übernatürliche Fähigkeiten – als Heiler:in, Medium oder Anhänger:in neuer heidnischer Religionen – stattdessen als Betrüger:innen verfolgt wurden. Und die Menschen glaubten und glauben weiterhin an Magie, entweder als Selbstermächtigung oder als tödliche Kraft, die von anderen ausgeübt wird. Die Vorstellung von der Hexe hat viele Facetten und ist auch heute noch sehr mächtig.

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Die versklavte Indigene Tatabe war eine der ersten, die der wohl berühmtesten Hexenverfolgung zum Opfer fielen – den Hexenprozessen von Salem Ende des 17. Jahrhunderts. Ihr Fall war einer der ersten, doch es sollten nach ihr noch etwa 300 Menschen in Salem als »Hexen« angeklagt, inhaftiert und zum Teil ermordet werden. Dieses Foto zeigt die Anklageschrift, in der Tatabe der Hexerei und des Unterschreibens des »Buch des Teufels« beschuldigt wird.

Und wie sieht eine Hexenjagd heute im Vergleich zu früheren Jahrhunderten aus?

Heute werden in der ganzen Welt – in Indonesien, im südlichen Afrika, in Teilen Indiens, in Südamerika und im Nahen Osten – jährlich Hunderte von Menschen in formellen oder informellen Hexenprozessen getötet. Die Hexe ist also immer noch eine Figur geboren aus Angst, die man verfolgen kann. An anderen Orten werden Hexen jedoch als feministische Vorbilder, religiöse Figuren für Wicca-Anhänger:innen oder einfach als Metaphern betrachtet. Es gibt Millionen von Videos heidnischer Hexen, die online Zaubersprüche ausführen. Gleichzeitig hören wir von nordamerikanischen und europäischen Politiker:innen, dass sie Opfer von Hexenjagden seien. In meinem Buch geht es darum, was Hexen heute bedeuten und warum sie an verschiedenen Orten unterschiedliche Bedeutungen haben.

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Im Jahr 1928 wurde in York County, Pennsylvania, Nelson Rehmeyer von John Blymyer und zwei Helfern ermordet, die glaubten, er sei ein Hexer. Der Inquirer berichtete ausführlich über den Mord: Diese Seite zeigt (von links nach rechts) seine Witwe Alice und die beiden Töchter Gertrude und Florence, die drei Verdächtigen John Blymyer, Wilbert G. Hess und John Curry sowie Nelson selbst.

Wir sehen auch, dass es heute populär geworden ist, sich selbst als Hexe zu bezeichnen oder an irgendeine Art von Magie zu glauben, und dass dies heutzutage ein ermächtigendes Moment hat. Was halten Sie von diesem Trend, der hauptsächlich auf Social Media stattfindet? Und wer ist diese Art von moderner Hexe?

Früher dachte ich, die moderne Idee der Hexe hätte nichts mit historischen Hexenverfolgungen zu tun. Aber jetzt sehe ich, dass sie miteinander verbunden sind – durch die Geschichte der Gewalt gegen Frauen und ihre Rückeroberung des Hexenbildes heute, durch den Wunsch der Menschen, an Magie zu glauben, durch die Geschichte des Begriffs „Witch Hunt“. Es ist kein Zufall, dass Hexen heute kulturell populär sind, in einer Zeit massiver Veränderungen und Verwerfungen auf der ganzen Welt, des Aufkommens neuer Verschwörungstheorien, die der Dämonologie sehr ähnlich sehen, und der zunehmenden Ungerechtigkeit gegenüber Frauen in einigen Ländern. Das alles hängt mit dem Stereotyp der Hexe zusammen: Wir denken, es ist nur ein Wort, aber es ist so viel mehr als das.

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Noch heute finden Hexenjagden in einigen Teilen der Welt statt. Häufig richten sie sich gegen »Hexenkinder«, die hier im Süden Nigerias im Jahr 2009 gegen diese Praxis auf die Straße gehen
Porträtfoto Marion Gibson
Autor:in

Marion Gibson ist Professorin für Renaissance und magische Literaturen an der Universität von Exeter, UK.

Letzte Frage: Wir sehen heute, dass die Menschenrechte und insbesondere die Rechte der Frauen in vielen Teilen der Welt wieder eingeschränkt werden. Ist das einer der Gründe, warum Sie Ihr Buch geschrieben haben, um zu erklären, dass Frauenfeindlichkeit sehr unterschiedliche Formen annehmen kann?

Ja. Wenn ich es vor zehn Jahren geschrieben hätte, wäre es ein anderes Buch geworden. Aber als ich sah, wie Politiker:innen Frauenrechte angriffen und einzelne Frauen zu Sündenböcken machten, als ich die Skandale sah, die aus der MeToo-Bewegung hervorgingen, fragte ich mich, wie viel sich wirklich geändert hatte. Offensichtlich haben sich viele Dinge zum Besseren gewendet, aber warum greifen wir immer noch nach dem Bild der Hexe? Mein Buch befasst sich sowohl mit Frauen als auch mit Männern, die als Hexen bezeichnet wurden, mit ihnen allen, von Dorfheiler:innen über Kinder bis hin zu kirchlichen Amtsträgern. Aber die Mehrheit sind Frauen, denn im Laufe der Geschichte waren etwa 75 % der Beschuldigten Frauen. Man muss sich fragen: Warum?

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