13. Juni 2022

Robin Wall Kimmerer über unsere Beziehung zur Natur

Robin Wall Kimmerers »Geflochtenes Süßgras« führt geschickt indigenes Wissen über die Weisheit der Pflanzen mit Fakten aus der Wissenschaft zusammen und behandelt eine der großen Fragen unserer Zeit: Wie können wir die Natur noch retten? Ein Buch, das die Schönheit unseres Planeten zelebrierte und Hoffnung machte und damit zu einem regelrechten Dauererfolg wurde!
Die Bilder von riesigen Zedern und wilden Erdbeeren, ein Wald im Regen und eine Wiese aus duftendem Süßgras werden bei Ihnen bleiben, lange nachdem Sie die letzte Seite gelesen haben.
Jane Goodall

»Das süß duftende Haar von Mutter Erde« – so bezaubernd klingt einer der vielen Namen des Süßgrases in der indigenen Sprache der Wissenschaftlerin Robin Wall Kimmerer. Und ebenso, wie man dieses besondere Haar zu Zöpfen flechten kann, flicht Robin Wall Kimmerer uns ein in ihre ganz persönliche Welt der Pflanzen.

Sie kennt sie alle beim Namen, spricht von Astern und Goldrute, Erdbeeren und Squash wie von ihren besten Freundinnen und lehrt uns, ihre Sprache zu verstehen, in der Hoffnung, dass wir ihre Großzügigkeit wieder schätzen lernen und im Gegenzug unsere eigenen Gaben geben. Sie nimmt die Poesie der Natur in sich auf wie kaum jemand seit »H wie Habicht« und verwebt das tiefe Verständnis einer indigenen Frau mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Botanik zu einer Einladung an uns alle, unser ökologisches Bewusstsein neu zu entdecken.

Aus dem Vorwort von »Geflochtenes Süßgras«

Strecken Sie die Hand aus und lassen Sie mich ein Bündel frisch gepflücktes Süßgras hineinlegen, locker und luftig, wie frisch gewaschenes Haar. Oben sind die Halme glänzend goldgrün, weiter unten, dort, wo sie auf den Boden treffen, haben sie ein lila-weißes Band. Halten Sie sich das Bündel unter die Nase. Nehmen Sie den honigsüßen Vanilleduft wahr, hinter dem sich der Geruch von Flusswasser und schwarzer Erde verbirgt, und Sie verstehen den wissenschaftlichen Namen: Hierochloe odorata, duftendes, heiliges Gras. In unserer Sprache heißt es wiingaashk, das süß duftende Haar von Mutter Erde. Atmen Sie es ein, und Ihnen werden nach und nach Dinge einfallen, von denen Sie nicht wussten, dass Sie sie vergessen hatten.

 

Wenn man eine Handvoll Süßgras am Ende zusammenbindet und in drei Strähnen unterteilt, kann man es flechten. Damit es ein weicher, glänzender Zopf wird, den man verschenken kann, braucht es eine gewisse Spannung. Jedes kleine Mädchen mit abstehenden Zöpfen kann es bestätigen: Beim Flechten muss man ziehen. Natürlich bekommt man das alleine hin – man kann das Ende an einen Stuhl binden, oder es zwischen die Zähne nehmen und rückwärts von sich selbst weg flechten –, aber am schönsten ist es, wenn jemand anderes das Ende hält, so dass beide sachte gegeneinander ziehen, dabei die Köpfe zusammenstecken, plaudern und lachen, sich gegenseitig auf die Hände sehen, die einen ganz still, während die anderen die schlanken Strähnen übereinanderschlagen, von rechts, von links. Das Süßgras bringt Menschen zusammen, in einen Austausch, bei dem die Haltende so wichtig ist wie die Flechtende. Der Zopf wird gegen Ende feiner und dünner, bis einzelne Halme geflochten und dann abgebunden werden. Wollen Sie das Ende des Bündels halten, während ich flechte? Können wir unsere Hände durch Gras miteinander verbinden und einen Zopf zu Ehren der Erde flechten? Danach halte ich das Ende für Sie. Ich könnte Ihnen einen Zopf Süßgras reichen, so dick und glänzend wie der Zopf, der meiner Großmutter über den Rücken fällt. Aber es steht mir nicht an, zu geben, und Ihnen nicht, zu nehmen. Wiingaashk gehört sich selbst. Also verschenke ich stattdessen einen Zopf aus Geschichten, für die Heilung unserer Beziehung zur Welt. Dieser Zopf besteht aus drei Strängen: dem Wissen der Indigenen, naturwissenschaftlicher Erkenntnis, und der Geschichte einer Wissenschaftlerin vom Stamm der Anishinaabe, die versucht, alles drei zusammenzubringen, um dem Wichtigsten zu dienen. Es ist ein Geflecht aus Wissenschaft, Geist und Geschichten, eine Pharmakopöe, ein Arzneimittelbuch mit heilsamen Geschichten, damit wir uns eine andere Beziehung vorstellen können, in der Mensch und Land füreinander gute Medizin sind.

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