09. März 2023

Katja Bigalke und Marietta Schwarz über »Midlife«, das Buch über die Mitte des Lebens

Die Autorinnen und Podcasterinnen Katja Bigalke und Marietta Schwarz über ihr Buch »Midlife«, die Klischees, Fragen und Krisen der Mitte des Lebens und über Strategien zur Auseinandersetzung mit dem Älterwerden in einem herausfordernden Lebensabschnitt.

Euer Buch ist ja einerseits eine Art Kompendium zu allen Fragen, die sich in der Mitte des Lebens neu und dringlich stellen. Aber es ist auch ungemein persönlich und entstanden aus eurem erfolgreichen Podcast. Wie kamt ihr auf die Idee, gerade zu diesem Thema zu arbeiten? Und eine grundsätzliche Frage noch hinterhergeschickt: Wann beginnt und wann endet eigentlich das »Midlife«? Welche Faktoren entscheiden darüber?

Midlife
Empfehlung

Das Buch über die Mitte des Lebens
Hardcover
22,00 €

(Marietta) Tatsächlich haben wir kürzlich festgestellt, dass die ersten Ideenskizzen zum Podcast schon vier Jahre zurückliegen. Damals hatten wir auch schon so ein latentes Midlife-Gefühl: Wir dachten plötzlich über das Älterwerden nach, darüber, was noch geht und was nicht mehr, und wo die Reise eigentlich hinführen soll in unseren Leben. Das waren Fragen, die wir uns zumindest in dieser Intensität vorher nicht gestellt hatten und wir bekamen mit, dass die in unserem Umfeld auch gestellt wurden. Zudem gab es Schicksalsschläge – Erkrankungen, Trennungen, Todesfälle – und die eigenen Eltern, die auch älter und mitunter auch gebrechlicher wurden.

Wir beide haben viele Jahre zusammen in einer Redaktion gearbeitet, die sich mit solchen »Schnittstellen«-Themen beschäftigt und haben ähnliche Vorstellungen, wie wir sie journalistisch umsetzen wollen. Von daher sind wir mit großer Lust und maximaler Freiheit an das Projekt »Midlife« rangegangen, haben allerdings am Anfang ziemlich viel rumexperimentiert. Und eine der ersten Fragestellungen war dann wirklich: Wie grenzen wir das eigentlich ein, Midlife – also welche Lebensspanne bezeichnet das eigentlich? Wir haben uns dann schlicht an Eckdaten orientiert. Einmal der statistischen Lebensmitte, die in Deutschland bei 41 Jahren liegt und dann dem Durchschnittsalter der Menopause, die bei 52 Jahren liegt und ein Ereignis ist, die mittleren Jahre von Frauen mitunter ziemlich stark beeinflusst. Rund um diese Zahlen haben wir das Midlife grob zwischen 35 und 55 angesiedelt – wobei das wirklich nur eine Orientierung ist. Es ging uns bei der Recherche nicht um Zahlen, sondern um Erfahrungen, Fragen und Herausforderungen, die diese bestimmte Lebensphase eher prägen als die davor oder die danach. 

 

Und diese Erfahrungen, Fragen oder Herausforderungen, das sind für euch also Schnittstellen-Themen. Was meint ihr denn damit?

Themen, die eben viele Lebensbereiche berühren: Medizin, Psychologie, Soziologie, Philosophie bis hin in die Kulturwissenschaften und ästhetische Fragen. »Midlife« ist ja weder ein Ratgeber noch ein Buch, das um jeden Preis der zweiten Lebenshälfte das Positive abgewinnen will, sondern Antworten auf unsere persönlichen, aber auch repräsentativen Fragen.

Ein besonders beeindruckendes Kapitel des Buchs erörtert die Frage der Pflege der Eltern, mit der sich die meisten in ihren 30ern niemals beschäftigen würden. Wie wurde diese Frage für euch akut und was ist die Haupterkenntnis eurer Recherche zum Thema? Und wie könnte man das Thema Pflege besser in der Gesellschaft verankern?

(Marietta) Oh ja, das Thema wird quasi mit jedem Monat drängender! Kürzlich versuchte mich meine Mutter morgens vor 9 Uhr telefonisch zu erreichen, irgendwas war dann mit dem Telefon, so dass wir uns nicht sprechen konnten. Ich wurde sehr nervös, weil ich dachte: So früh ruft meine Mutter nie an, irgendwas muss passiert sein. Und zweitens: Was ist jetzt, wenn es sich um eine Notsituation handelt und sie können niemanden erreichen?! Meine Eltern sind noch nicht abhängig von einer Pflegekraft, sie können sich noch allein versorgen. Aber wie wir von Freund:innen und Bekannten wissen, kann das ja mit einem einzigen Sturz vorbei sein.

(Katja) Und die Frage ist ja dann wie geht es dann weiter? Wie schnell lässt sich die Lebenssituation anpassen? Wer kann helfen? Sowohl die Eltern als auch die Angehörigen machen sich oft erst Gedanken über solche Fragen, wenn etwas »passiert«. Da müssen dann aber manchmal sehr schnell Entscheidungen gefällt werden und das gelingt nicht immer so, dass sich alle mit diesen Entscheidungen arrangieren können.

(Marietta): Eine wichtige Erkenntnis unserer Recherche ist, dass eine liebevolle Pflege der Eltern nur funktioniert, wenn in der Familie »Kassensturz« gemacht wurde. Wenn Eltern und Kinder sich Fehler verzeihen und das Verhältnis einigermaßen intakt ist. Die andere Erkenntnis ist die, dass es doch einige Alternativen zum Pflegeheim gibt – denn dort wollen ja die wenigsten Eltern landen.

 

In einem anderen Kapitel behandelt ihr die Sehnsucht nach Veränderung im Beruf, die im Midlife erstarkt. Kurz gefragt: Wie ergattert man den Job, in dem man altern kann? Habt ihr irgendwelche Tipps?

Ein Freund hat die Jobfrage im Midlife mal als die entscheidende Frage überhaupt bezeichnet. Da haben wir bei vielen eine große Unzufriedenheit beobachtet, die ganz unterschiedlich gelagert ist: Den einen bleibt der nächste Karrieresprung versagt, die anderen stehen kurz vor dem Burn Out und reden von Sabbatical, die dritten wollen grundsätzlich kürzertreten und dann gibt es noch die, die komplett neu anfangen – meistens mit einer »sinnstiftenden« Handarbeit. »Vieles ist möglich, aber nicht alles ist wahrscheinlich«, hat dazu eine Soziologin gesagt. Sie meinte damit, dass es für einen Investmentbanker leichter ist, Schäfer zu werden als umgekehrt. Dass wir uns überhaupt leisten können die Sinnfrage im Beruf zu stellen, ist natürlich ein Luxus. Ein Lösungsansatz besteht wohl darin, sich selbst erstmal zu fragen, was einem wirklich Freude bereitet.

 

Ein anderes im Buch behandeltes Midlife-Phänomen ist das Empty Nest Syndrome. Wie bleibt man im Midlife »zusammen weniger allein«, wenn die Kinder sich verabschiedet haben? Gibt es da kluge Strategien? 

Da können wir jetzt gar nicht mit der einen Antwort aufwarten. Wir haben uns eher angeguckt: Was passiert in dieser Lebensphase »im Nest«? Welche Fragen stellen sich da? Und da lässt sich sagen, das ist wirklich sehr heterogen und sehr unterschiedlich. 

 

Wenn unser Körper an Straffheit einbüßt, wird Mode umso wichtiger. Kann man das so sagen? Und gibt es bezüglich der Mode in den mittleren Jahren Akzente, die ihr wichtig findet bzw. propagiert? Worin liegt die modische Chance des Midlife? 

Ein sehr kontrovers diskutiertes und leider immer noch schambehaftetes Thema. Wer über das Älterwerden spricht und schreibt, kommt an Klischees, Zuschreibungen und allgemeinen Schönheitsvorstellungen nicht vorbei. Wir wollen nicht zu viel vorgreifen, aber es lohnt sich, die bestehenden Normen und Regeln zu hinterfragen: Wer diktiert hier eigentlich die ästhetischen Vorstellungen, warum und was mache ich damit?

 

Auch das Thema Sex ist ein wichtiges in eurem Buch. Weil die Mitte des Lebens die Gelegenheit bietet, das gewohnte Programm zu durchbrechen. Weil dieses häufig nicht mehr funktioniert, ob nach Geburten oder durch die Abnutzungserscheinungen in Langzeitbeziehungen. Eine schon wieder recht große Frage: Wie bleibt Sex im Midlife nicht nur wichtig, sondern wie wird Sex im Midlife schöner als jemals zuvor?

Ganz kurze Antwort hier: Die Neugierde Pflegen und offen Kommunizieren hilft ungemein. 

 

Am Schluss des Buchs stehen in Kapitellänge sowohl ein Hoch auf die Freundschaft als auch auf den Rausch. Letzteres ist überraschender. Warum ist der Rausch so wichtig, gerade in einer Phase des Lebens, in der die Auseinandersetzung mit dem Tod zunimmt? 

Vielleicht weil sich ein Leben ohne Rausch schon wie die Vorstufe zum Tod, irgendwie leblos, anfühlt? Es ist natürlich ein gewagtes Unterfangen, den Rausch und den Tod, die Endlichkeit, in einen Topf zu werfen und ordentlich umzurühren. Aber das eine hat mit dem anderen zu tun – der Rausch (durch den Einsatz von bestimmten Rauschmitteln) kann letztendlich todbringend sein, das Wissen um die Endlichkeit wiederum lässt uns manche guten Momente als rauschhaft erleben. »Die rauschhaften Feste sind wie die Vorstufe zur Party im Himmelreich«, hat uns ein Freund, der Theologe ist und sehr gerne feiert, gesagt. Mit oder ohne Glauben ans Jenseits gehören wir beide eher zur Fraktion »Pro Rausch« als »Pro Enthaltsamkeit«. Was nicht notgedrungen schädlichen Konsum von Genussmitteln bedeutet. 

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