03. Aug. 2023

»Alle meine bisherigen Protagonistinnen und Protagonisten haben in gewisser Weise mit meiner Mutter zu tun«

Jana Revedin hat in ihrem neuesten Roman »Der Frühling ist in den Bäumen« die Geschichte ihrer Mutter Renina niedergeschrieben. Diese gründete 1953, im Alter von 24 Jahren, die erste Frauenzeitschrift Deutschlands, um sich für ein neues Rollenverständnis der Frau einzusetzen. Im Gespräch erzählt Jana Revedin von den Erfolgen, den Misserfolgen und der Durchsetzungskraft ihrer Mutter in einer von Männern dominierten Welt.

Was hat Sie veranlasst, einen Roman mit Ihrer Mutter als Protagonistin zu schreiben?

Porträtfoto Jana Revedin
Autor:in

Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin.

Sie selbst. In ihren letzten Lebensjahren hatte sich meine Mutter einen Bauernhof in Kärnten gekauft. »Hier will ich sterben und du bist bei mir«, sagte sie zu dieser für eine intellektuelle Städterin doch sehr originellen Wahl. Aber sie wusste, ich würde mich in dieses kleine verwilderte Anwesen verlieben, denn es lag nahe zu Venedig, wo ich mit meiner Familie lebte. Ich war Architektin geworden und konnte den Hof für sie sachte und mit der nötigen Ruhe restaurieren. Oder, lassen Sie mich nachdenken … war ich wohl Architektin geworden, um mich ihrer ein Leben lang eroberten und dann wieder aufgegebenen Heimaten anzunehmen? Zurück zu diesem Hof. Im letzten Sommer ihres Lebens sagte sie, wenn ich sie hinaus in den Garten führte, oft vor sich hin: »Irgendwann schreibst du diese Geschichte auf.«

 

Was für eine Zeitschrift war die »Lady«, die sie 1953, im Jahr, in dem Ihr Roman spielt, gründete und wie erfolgreich war sie im Nachkriegsdeutschland?

Der Frühling ist in den Bäumen
Empfehlung
Hardcover
22,00 €

Die »Lady« machte ihre Epoche. Kaum jemand konnte damals nach Paris, Mailand oder London reisen, wo die Mode-, Design- und Theatertrends geschrieben wurden, erst recht nicht nach New York, wohin die Kunst-, Philosophen- und Literaturszene ausgewandert war. Mit der Lady reiste jedermann, jedefrau mit. Die von Marlene Dietrich initiierten »Weekends mit Lady« waren ein Wegweiser für diese Öffnung zu einem jungen, gar nicht verwöhnten, sondern schlicht kulturbegeisterten Publikum. Man konnte eine damals kaum bekannte Maria Callas in einer verlassenen Grotte auf Capri den Mond besingen hören, mit dem jungen Nouvelle-Cousine-Rebellen Paul Bocuse auf Lyoner Bierbänken speisen, mit Diors Nachwuchstalent Yves Saint-Laurent die verborgenen Bazars von Marrakesch erkunden, mit Peggy Guggenheim barfuß den durchwindeten venezianischen Lido entlangflanieren …

 

Wie lange hat Ihre Mutter die »Lady« herausgegeben?

In unserer Familie gab es einen lustigen, im Sinne von eigentlich nicht ernst genommenen und demnach todernsten Plan. Vielleicht brauchten meine Eltern und Großeltern solche vermeintlich sicheren Zukunftspläne, hatten sie doch zwei Weltkriege überlebt und auf der Flucht aus Berlin ihre ganze Vergangenheit zurückgelassen? Nun, der Plan ging so: mein großer Bruder würde Arzt wie mein Vater, meine große Schwester Philosophin wie meine Mutter und ich würde den Verlag übernehmen. Kurioserweise haben sich, trotz einiger Umwege, die ersten zwei Ziele erfüllt. Den Verlag konnte ich nicht weiterführen, dieser Plan zerschlug sich sehr früh. Nach dem unvermittelten Krebstod meines Großvaters zerstritten sich seine Kinder, mit dem traurigen Ergebnis, dass die letzte Ausgabe der »Lady« im September 1971 erschien und meine Mutter aus dem Verlag entlassen wurde.

 

Hat Ihre Mutter dem Verlust der »Lady« nachgeweint?

Sicherlich. Doch sie hat es uns keinen Augenblick gezeigt. Ich war zwar damals erst vier, fünf Jahre alt, doch ich erinnere mich genau an die Gespräche bei Tisch. Der Verlag wurde von einem auf den anderen Tag nicht mehr erwähnt, genau so wenig wie mein Onkel, den meine Mutter ja, obwohl er ein wenig aus den Traditionen der Familie fiel, sehr geliebt hatte. Sie schloss mit diesem Lebenskapitel ab, ohne Groll, und eroberte sich eine neue, noch viel unabhängigere Position: sie wurde zur Presseberaterin ihrer liebsten Kunden, Hermès, Chopard, Fürstenberg, Chaumet, Yves Saint-Laurent ... Und sie erfand eine neue Zeitschrift, »Le Monde d‘Hermès«, in einem Augenblick, in dem in Köln die allererste Hermès Boutique jenseits des Pariser Faubourg Saint-Honoré geplant wurde. Eine Zeitschrift öffnet Horizonte, Hermès wurde folgerichtig in nur wenigen Jahren zum Weltmarktführer in Sachen feinster Handwerkskunst.

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Renina interviewt 1954 in Paris die »Nasen« von Guerlain, Chanel, Jean Patou und Christian Dior

Das oben stehende Foto zeigt Ihre Mutter im Gespräch mit den wichtigsten Parfumeurs jener Zeit. Es sind ausschließlich Männer. Wie konnte Ihre Mutter in einer männlich geprägten Welt bestehen?

Durch die Qualitäten, die wir beim Reiten gelernt haben. Haltung zeigen, dabei doch geduldig sein und ... über unsere Fehler lachen können!  

 

Ihr Roman zeichnet das Bild einer Epoche – der deutschen Nachkriegszeit – und führt uns eine Auffassung von Ehe vor Augen, die es heute so nicht mehr gibt. Was hat Ihrer Mutter die Kraft gegeben, sich aus einer zutiefst unglücklichen Ehe zu befreien?

Ihre Aufgabe, ihr Tun. Das Tun, das wir uns nehmen lassen, die Entfremdung zwischen dem Menschen und den Spuren, die er hinterlassen kann, trennt ihn von seinem Selbst, sagt Hannah Arendt. Der gesellschaftliche Vertrag der Ehe befand sich seit der Jahrhundertwende in grundlegender Veränderung. Meine Mutter war eine, die die Kraft zu einer konsequent selbstverantwortlichen Haltung, den Glauben an ihre Talente aus der Natur, der Musik und der Literatur bezog, von den Menschen und Tieren, die sie liebte, aus den zauberhaften Fügungen, die jeder Tag uns beschert.

 

Nach Ise Frank, der Frau von Walter Gropius, Margherita Revedin, Eugenia Errázuriz und Jean-Michel Frank lernen wir nun also eine Figur aus Ihrer eigenen Familie kennen – wie hängen sie alle zusammen?

Alle meine bisherigen Protagonistinnen und Protagonisten haben in gewisser Weise mit meiner Mutter zu tun. Sie wusste, dass ich biografische Romane schreiben wollte, um vergessenen Figuren aus Kunst und Kultur, die mich umtrieben, näher zu kommen als in einem Sachbuch. Es war ein Wagnis, ich war ja bisher in der wissenschaftlichen Forschung zuhause, doch kurz nach ihrem Tod begann ich tatsächlich mit den Recherchen zu Ise Frank, die sie in Amerika noch in ihrem Gropius-Haus interviewt hatte. Es wurde meine Debüt-Biografie »Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus« daraus. Sie hätte dieses Buch sicher gerne mitgeschrieben. Vom tapfer bestandenen Schicksal der »Margherita«, der Großmutter meines Mannes und meiner nächsten Heldin, war sie schon zu Lebzeiten berührt gewesen. Schließlich hätte sie mit Eugenia Errázuriz‘ und Jean-Michel Franks »Flucht nach Patagonien« mitgefiebert, war ihre eigene Mutter, meine geliebte Großmutter doch, als die Zeiten in den 1920er Jahren noch sicher schienen, in Eugenia Errázuriz‘ Pariser Salon ein und ausgegangen.

 

Hat Ihre Mutter offen über ihre Schwierigkeiten und Schicksalsschläge als junge Frau im Zusammenhang mit ihrem ersten Ehemann gesprochen?

Es kamen so viele nach. Gesundheitliche, berufliche, private ... Da erschien ihr die Affäre mit und um Fred Dietrich beinahe eine Lappalie. Wir haben in ihren letzten Lebensjahren viel Zeit miteinander verbracht, da haben wir gelacht. Und manchmal auch geweint.

 

Und letzte Frage: Was wurde eigentlich aus jenem Fred? Haben sich seine und Reninas Wege wieder gekreuzt?

Wer weiss? Nicht dass sie je davon erzählt hätte.

 

Die Fragen stellte Constanze Neumann

Die Autorin über »Flucht nach Patagonien«

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