Gregor Gysi und Peter-Michael Diestel – zwei Unbelehrbare reden über Deutschland und ein bisschen über sich selbst

Gysi und Diestel. Zwei Rechtsanwälte, zwei gelernte Rinderzüchter. Zwei aus dem Osten, die in den Westen gingen. Zwei aus der Politik. Der eine links, der andere konservativ: Gysi war letzter SED-Vorsitzender und Protagonist der Linken, Diestel der letzte Innenminister der DDR, dann CDU-Abgeordneter in Brandenburg, später parteilos. In Gesprächen mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt entfalten sie die jüngste deutsche Geschichte, die eng mit ihren eigenen verknüpft ist, und blicken auf das vereinte Deutschland – so kritisch wie zuversichtlich.

Ich bin und bleibe ein Zweckoptimist.
Es kann gelingen, unser Leben sozialer und gerechter zu gestalten. Aber wir leben in Zeiten, in denen Visionen und klare politische Ziele einen sehr schweren Stand haben.
Gregor, das gefällt mir an dir, du lässt dich nicht beirren. Man könnte sagen: Du schaust auf die reale Welt, und wenn du nach links schaust, kneifst du ein wenig die Augen zu. Man kann aber auch verkürzt und zweckdienlich sagen: Du kneifst nicht. Unbelehrbar also. Oder positiv ausgedrückt: unbeirrbar.

GYSI: Wir sprechen hier miteinander, weil wir uns auch an Momente erinnern wollen, die von Grundproblemen unseres politischen Lebens erzählen, auf den damaligen Wegen von Deutschland nach Deutschland.
DIESTEL: Oha, Heimat Deutschland.
GYSI: Unter Heimat muss man nicht immer ein ganzes Land verstehen. Darunter kann man auch den Ort verstehen, an dem man aufgewachsen ist. Eine bestimmte Gegend, Verhältnisse und Umstände, die man kennt und mit denen man umgehen kann. Es ist aber ebenso legitim, prinzipiell eine positive Beziehung zum eigenen Land zu haben.

GYSI: Dass ich gelernter Rinderzüchter bin, kommt mir in der Politik zugute. Ich kann ausmisten, das ist eine politische Grundtätigkeit. Und ich kann mit Hornochsen umgehen.
DIESTEL: Weißt du, Gregor, wir hatten zu Hause wirklich wenig, aber die väterliche Linie, die war anders, die bedeutete Grundbesitz, also bis 1945. Du siehst, mit meinem späteren Gang in die Landwirtschaft kam das bei mir wieder durch.
GYSI: Du bist gern auf großem Grund Besitzer (lacht).

GYSI: Wenn ich mein Äußeres einem Blinden beschreiben müsste, würde ich sagen: »Groß, kräftig, volle blonde Locken.«
DIESTEL: Gregor, ich lebe ganz gut von der schon erwähnten Fehleinschätzung: Dieser Diestel ist ein muskulöser Schönling, also ein bisschen doof. Aber ich bin nicht so arrogant, wie ich wirke, und ich bin nicht so dumm, wie meine Muskeln zunächst vermuten lassen.

GYSI: Tatsache ist: Viele Ostdeutsche sind noch immer benachteiligt. Die Bundesregierung hat sich damals, nach Herstellung der deutschen Einheit, nicht für die DDR interessiert, das werfe ich ihr vor. Aber es gab auch ein Leben in der DDR, das hat man sich vom Westen aus nicht angesehen. Wären bestimmte Dinge für ganz Deutschland übernommen worden, hätte es das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gestärkt. Denn wenn man alles ablehnt, sagt man den Leuten ja auch: Eure Lebensleistung liegt bei null! Und die Westdeutschen wiederum hätten erlebt, dass durch das Hinzukommen des Ostens ihre Lebensqualität gesteigert worden wäre.
DIESTEL: Man hat nach 1990 die Kreativität, den Witz, die Bildung, den Mut der Ostdeutschen total unterschätzt.
GYSI: Unterschätzt? Arrogant übersehen!

GYSI: Bückling!
DIESTEL: Revolution!
HANS-DIETER SCHÜTT: Zwei Unbelehrbare.

DIESTEL: Die DDR ist meine Herkunft. Mein Paradies.
GYSI: Hab’ ich mich gerade verhört? Paradies? Du? Diestel! Immer großes Orchester! Und klar, wer sich den Dirigentenstab schnappt.
DIESTEL: Paradies ist ein Trotzwort. Erst der Westen hat mir den Osten zum Paradies gemacht, indem man uns erklärt hat, wir seien von einem Misthaufen gefallen. Ist doch klar: Wo alles madig gemacht wird, reagiert man mit Schönfärberei.
GYSI: Ich bekam in der DDR nur eine einzige Urkunde, sie bestätigt meine Teilnahme an einem Waldlauf.

GYSI: Gesetzmäßig ist vor allem eines: Damit etwas Neues kommt, muss etwas Altes gehen.
DIESTEL: Gregor, aber nicht gleich wir beide.
GYSI: Noch nicht.
DIESTEL: Noch lange nicht.