Iran im Fokus – Zwischen Diplomatie und Realität
»Ali Fathollah-Nejad legt den Finger in die Wunden der westlichen Iran-Politik!« Natalie Amiri
Iran bleibt kontinuierlich in den weltweiten Schlagzeilen. Nicht erst seit dem barbarischen Angriff der Hamas auf Israel agiert die Islamische Republik als Hauptgegner Israels und der USA. Vor dem Hintergrund von Putins Krieg gegen die Ukraine und revolutionären Protesten im eigenen Land zeigt sich: Die Entwicklungen in Iran haben globale Auswirkungen, die weit über die Grenzen des Nahen Ostens hinausgehen.
Ali Fathollah-Nejad beleuchtet in seinem Buch die komplexen Dynamiken und blinden Flecken westlicher Iran-Politik. Der Atomdeal von 2015, gefeiert als diplomatisches Meisterstück, hat lange nicht die erhoffte Wirkung erzielt, sondern vielmehr wesentliche Aspekte wie Irans menschenrechtswidrige Innenpolitik und destabilisierende Regionalpolitik ausgeklammert – mit fatalen Folgen für die internationale Sicherheit.
Ali Fathollah-Nejad zeigt auf, wie Europas Ignoranz gegenüber den internen und externen Gefahren Irans zu den aktuellen Krisen beiträgt. Von Drohnen- und Raketenlieferungen an Russland bis hin zur Unterstützung extremistischer Gruppen – die Auswirkungen sind global spürbar. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Westen bisher nicht in der Lage war, eine nachhaltige und wertebasierte Außenpolitik gegenüber Iran zu entwickeln.
»Iran. Wie der Westen seine Werte und Interessen verrät« fordert eine fundierte außen- und sicherheitspolitische Diskussion und argumentiert, dass Werte und Interessen in der Außenpolitik nicht als Gegensatz, sondern als Voraussetzung für nachhaltige Sicherheit betrachtet werden müssen.
Aus dem Vorwort von Natalie Amiri
Mehrmals setzte ich an, um dieses Vorwort zu schreiben. Immer wieder veränderte sich die Situation gravierend. Wann den Stift zur Seite legen? Ein Ende hat das Regime nach wie vor nicht genommen. Doch noch nie stand es so mit dem Rücken zur Wand. Selbstverschuldet, sicher nicht durch die deutsche Außenpolitik, die sich eher durch seine Appeasement-Politik hervorgetan hat als durch einen Kurswechsel Richtung Teheran.
War und ist dieses Regime wirklich so mächtig, dass die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt keine Mittel hatte, es in die Schranken zu weisen? Sich durch Geiseldiplomatie vorführen zu lassen? Die Handelsbeziehungen weiter bestehen zu lassen, trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen des Regimes vor den Augen der Welt?
Die Iran-Politik des Westens, die sich jahrzehntelang auf das Prinzip der »autoritären Stabilität« stützte, hat versagt. Angesichts der expansiven und oft destabilisierenden Außenpolitik Teherans ist eine Neuorientierung unumgänglich. Iran steht am Scheideweg. Dieses Buch zeichnet das Bild eines Landes, das in seinen Grundfesten erschüttert wird – und wie diese Erschütterungen auch Europa und den Westen betreffen. Es erzählt von einer jungen Generation, die sich nach Freiheit sehnt, und von einer Zivilgesellschaft, die fest entschlossen ist, trotz aller Repression für ihre Rechte zu kämpfen. Das Bedürfnis in der iranischen Gesellschaft nach Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ist groß. Von der »Frau, Leben, Freiheit«-Bewegung bis hin zu den Protesten gegen wirtschaftliche Ungleichheit – das iranische Volk ist längst aufgebrochen, doch der Westen bleibt oft Zuschauer.
Dieses Buch fordert dazu auf, die blinden Flecken der westlichen Iran-Politik kritisch zu beleuchten und eine entschlossenere Haltung zu entwickeln. Was bedeutet das? Der Westen muss über seine bisherigen Strategien hinausdenken und die Sicherheitsinteressen mit den Hoffnungen der iranischen Gesellschaft in Einklang bringen. Sanktionen und diplomatische Druckmittel können die Islamische Republik treffen – aber sie sollten den Menschen nicht schaden, die den Wandel tragen. Europa und die USA stehen in der Verantwortung, ihre Iran-Politik neu auszurichten und sich auf eine breitere Agenda zu konzentrieren, die auch Menschenrechte und demokratische Bestrebungen stärkt.
Durch die Appeasement-Politik des Westens konnte Teheran jahrelang das Bild eines gefährlichen Staates aufrechterhalten. Keiner wagte es, die Mullahs zu provozieren. Denn Teheran wusste genau, was den Westen triggert: Rohstoffabhängigkeiten, Lieferketten und die Angst vor Flüchtlingsströmen.
Seit Jahren hat das Regime Milliarden in seine Sicherheitsarchitektur investiert: Zu Hause standen die Revolutionsgarden parat – und im Rest des Nahen Ostens sollten lokale Kopien die Macht Teherans ausweiten: Seit der Revolution von 1979 baute Iran an einem Netzwerk von Stellvertretern im Libanon (Hisbollah), in Gaza (Hamas), in Jemen (Huthis), in Syrien und dem Irak (schiitische Milizen). Doch diese sogenannte Achse des Widerstandes wird gerade von Israel pulverisiert. Ohne seine Stellvertreter in der Region kann die Islamische Republik nicht viel ausrichten.
Doch das Regime ist ein Meister im Überleben. Seit bald einem halben Jahrhundert schon verfolgt es die Strategie des Zermürbens, ohne sich selbst in den Konflikt zu stürzen – provozieren und dementieren, aber immer ohne offene Konfrontation, besonders nicht mit den USA.
Im Moment sieht es jedoch so aus, dass Irans Strategie nicht aufgeht. Das Kartenhaus der Islamischen Republik wackelt bedrohlich. Innerhalb der Revolutionsgarde herrscht Misstrauen. In Iran tobt ein Machtkampf um die Zukunft. Die Bevölkerung hat sich bereits vor Jahren vom Regime abgewandt.
Für Abgesänge auf die Islamische Republik ist es wahrscheinlich aber trotzdem noch zu früh. Bisher ist den Mullahs noch immer etwas eingefallen, um am Ende doch zu überleben. Viel Handlungsspielraum bleibt der Teheraner Krake aber derzeit nicht. Schließlich sind einige ihrer Tentakel in der Region durch Israels Militär amputiert worden. Doch das bedeutet nicht, dass das Regime tatenlos bleibt. Mit Hinrichtungen soll nunmehr Stärke demonstriert werden. So auch am 28. Oktober 2024, als die Justiznachrichtenagentur der Islamischen Republik verkündet, dass der deutsche Staatsbürgers Jamshid Sharmahd am Morgen hingerichtet wurde.
Doch die deutschen Handelsbeziehungen zum Regime bleiben bestehen, die Bundesrepublik ist nach wie vor wichtigster Handelspartner des Regimes in Teheran innerhalb der EU.
Über die Rolle, die Europa jahrelang nicht eingenommen hat, und darüber, dass es immer noch nicht zu spät ist, eine neue Iran-Politik zu entwickeln und umzusetzen, schreibt Ali Fathollah-Nejad ausführlich in diesem Buch. Er zeigt, warum wir jetzt handeln müssen. Der revolutionäre Prozess in Iran, ausgelöst durch den Mut der iranischen Frauen und einer mutigen Jugend, fordert von uns ein Umdenken und verlangt eine Zeitenwende in der Iran-Politik. Die Zukunft des Landes und seiner Menschen hängt davon ab, ob der Westen bereit ist, die Konflikte und Chancen in Iran mit neuen Augen zu sehen – und endlich aus der Rolle des Zuschauers herauszutreten.