»Der Garten war ein Lebensretter«: Georgi Gospodinov über seinen neuen Roman

Für seinen Roman »Zeitzuflucht« wurde Georgi Gospodinov 2023 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Nun liegt mit »Der Gärtner und der Tod«, in der Übersetzung von Alexander Sitzmann, sein vielleicht persönlichstes Buch vor – über seinen Vater. Im Interview spricht er über den humorvollen Mann, den Tod und die rettende Kraft eines Gartens.

Das Buch erscheint am 14. Mai.
Der Gärtner und der Tod
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Ihr neuer Roman »Der Gärtner und der Tod« ist vielleicht Ihr bisher persönlichster Roman. Würden Sie sagen, dass das Schreiben dieses Romans in gewisser Weise kathartisch war?

Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass alle meine Romane, angefangen mit dem ersten, »Natürlicher Roman«, persönlich sind, mit unterschiedlichen Graden von Wagemut und Subversion. In »Der Gärtner und der Tod« ist das Wagnis und das Eindringen in den persönlichen Raum des Erzählers und der Figur am stärksten. Ich wollte einen Roman schreiben, der von diesem extremen Schwellenbereich des Lebens aus erzählt. An diesem Punkt kann man nicht lügen. Ich brauchte viel Mut und Liebe, um diese Geschichte zu erzählen.

Porträtfoto Georgi Gospodinov
Autor:in

Georgi Gospodinov wurde 1968 in Jambol, Bulgarien, geboren.

Dies ist ein Roman über Ihren Vater - wie hat das Schreiben Ihre Sicht auf ihn verändert?

Dieser Roman wurde fast vollständig von Hand geschrieben, in meinem Notizbuch. Ich habe ihn mit der gleichen Hand geschrieben, die in den letzten Monaten die Hand meines Vaters hielt. Es war eine Zeit der intensiven Kommunikation und des Schweigens. Mein Vater war ein sehr starker Mann, mit einem großen Sinn für Humor, und seine lustigen Geschichten wurden Teil des Buches. Ich weiß nicht, ob das Schreiben dieses Buches meine Sicht auf meinen Vater verändert hat. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass es die Perspektive vieler Leser:innen zu ihren Vätern verändert hat. Ich bekomme ständig Briefe von Leuten, die sagen, dass sie, nachdem sie die letzte Seite zu Ende gelesen hatten, sofort ihre Väter angerufen haben.

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Sie beschreiben sehr poetisch, wie Ihr Vater sich durch seinen Garten ausdrückte. Welche Bedeutung hat für Sie diese Beziehung zwischen Mensch und Natur?

Die Beziehung meines Protagonisten zu seinem Garten ist lebensrettend. Vielleicht besteht die einzige Rettung vor dem Tod darin, etwas zu pflanzen und wachsen zu lassen, das über das eigene Ende hinaus Bestand hat. In der Tat ist die Gartenarbeit ein ständiges Gespräch mit allem, was um einen herum wächst. Gespräch und Pflege. Mein Vater legte diesen Garten nach seiner ersten schweren Krankheit an, als die Ärzte ihm nur noch eineinhalb Jahre zu leben gaben. Und er lebte weitere 17 Jahre mit diesem Garten. Deshalb sage ich, der Garten war ein Lebensretter. Als mein Vater starb, blühten im darauffolgenden Frühjahr alle Blumen, die er gepflanzt hatte, wunderbar, die Kirschbäume wurden reif, und ich sagte mir: »Der Gärtner ist fort, aber er hat uns Worte hinterlassen, die jetzt sprießen und reifen.«

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Die Trauer in ihrer ganzen Menschlichkeit ist ein wiederkehrendes Thema in diesem Roman - glauben Sie, dass darin eine universelle Verbindung liegt?

Trauer und Traurigkeit sind Teil meines Gesamtwerks. Einer meiner Romane trägt den Titel »Physik der Schwermut«. Scherzhaft gesagt, fühle ich mich jetzt wie ein Experte für Trauer. Unsere Fähigkeit, Traurigkeit und Trauer zu empfinden, aber auch, sie mit Worten auszudrücken, ist ein wesentlicher menschlicher Wesenszug. Seit der Antike kennen wir Bücher über Trauer. Dieses Gefühl macht jeder früher oder später durch. Und es trifft uns immer unvorbereitet. Ich denke, »Der Gärtner und der Tod« ist auch ein Roman über die Domestizierung der Trauer. Wie eine der Figuren im Buch sagt: »Es ist gut, die Hand der Person zu halten, die fortgeht, aber es ist auch in Ordnung, irgendwann loszulassen.«

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In Ihrem Roman gibt es auch sehr lustige Momente, in denen Geschichten und ihre Erzählweise zu einer Möglichkeit werden, den Verlust zu bewältigen. Ist Humor ein Gegenmittel gegen Trauer und Verlust?

Ich stamme aus einer Kultur, die einen sehr ausgeprägten Sinn für Selbstironie hatte und hoffentlich immer noch hat. Mein Vater war ein wunderbarer Geschichtenerzähler und ein Beispiel dafür, dass man mit ein wenig Humor alles durchstehen kann. Wenn die Dinge am schwierigsten und unerträglichsten werden, tauchen seine lustigen Geschichten im Roman auf. Ich habe sie »Die kurzweiligen Geschichten meines Vaters für alle Fälle« genannt. Ja, der Sinn für Humor macht die Traurigkeit erträglich und menschlich.

Zeitzuflucht
Empfehlung
Taschenbuch
15,00 €

In Ihrem Roman »Zeitzuflucht«, der mit dem Bookerpreis ausgezeichnet wurde, gibt es eine Klinik für Menschen, die in einer vergangenen Zeit leben wollen. Glauben Sie, dass Ihr Vater vermisste, in einer früheren Zeit seines Lebens zu leben, oder hat ihn die Gartenarbeit in der Gegenwart gehalten?

Im Garten gibt es eine andere, zirkuläre Zeit, die sich von der unserer unterscheidet. Und das ist ein Teil der rettenden Kraft des Gartens. In diesem Sinne ist der Garten ein Gegenmittel zum Tod. Dort ist die Auferstehung ein saisonales Phänomen. Im Roman »Zeitzuflucht« geht es um die ewige Wiederkehr politischer Phänomene, um eine ständig wiederkehrende Vergangenheit. Der aufmerksame Leser wird feststellen, dass der Vater, der in einer der »Kliniken der Vergangenheit« auftaucht und stirbt, tatsächlich die zentrale Figur von »Der Gärtner und der Tod« ist. Das Ende der Welt ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit.

Georgi Gospodinov im Interview über »Zeitzuflucht«

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