08. Okt. 2024

Ein frischer Blick aufs Römische Reich – endlich aus weiblicher Perspektive!

Die nächste große #HerStory!

Unglaublich klug, erfrischend humorvoll und wunderbar feministisch nimmt uns die promovierte Historikerin Emma Southon in »Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen« (übersetzt von Rita Gravert und Caroline Weißbach) mit ins Römische Reich und lässt es in Form von 21 Frauen Epoche für Epoche wiederauferstehen. Wenn wir davor dachten, wir wüssten schon alles über diese Zeit, so irren wir uns gewaltig – und Emma Southon beweist, dass die Geschichte der anderen Hälfte der Menschheit mindestens genauso spannend (wenn nicht sogar spannender!) ist als die, die wir so gut zu kennen glaubten.

»Southon zeigt, wie unglaublich häufig
Frauen aus der römischen Geschichte
getilgt wurden ... Römische Frauen
waren immer da – jetzt müssen wir
dafür sorgen, dass ihre Geschichten
erzählt werden.«
BBC HISTORY

Du schreibst in deinem Buch, dass es so viele spannende Frauengestalten in der Geschichte des Römischen Reiches gab, dass du dich kaum für 21 Frauen entscheiden konntest. Welche Aspekte spielten bei deiner Auswahl die größte Rolle?

Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen
Empfehlung

Ich habe mich vor allem von zwei Prinzipien leiten lassen: Erstens wollte ich eine Frau aus jeder Periode der Römischen Geschichte haben, nicht nur aus der Späten Republik und dem Frühen Kaiserreich, und zweitens wollte ich insbesondere obskure und unbekannte Frauen vorstellen. Ich habe also versucht, keine Frauen aufzunehmen, über die bereits Bücher geschrieben wurden (wie Livia und Agrippina die Jüngere), und habe darauf geachtet, dass ich Frauen aus der gesamten römischen Geschichte hatte. Manchmal bedeutete dies, dass ich Frauen mit wirklich großartigen Geschichten ausschließen musste, weil sie bereits bekannt waren oder sich zeitlich mit anderen Geschichten, die ich erzählen wollte, überschnitten. Aber ich hoffe, dass das Ergebnis ein Buch ist, das wirklich überrascht, weil ich die Bandbreite und Vielfalt der Frauengeschichten zeigen kann, die uns zur Verfügung steht - es gibt nicht nur Kaiserinnen!

 

»Es gibt mehr als nur unterdrückte Hausfrauen und böse Kaiserinnen. Ich möchte mit dem Buch eine Diskussion darüber anstoßen, welche Art von Frauengeschichten wir erzählen, wenn wir Geschichte schreiben.«

Porträtfoto Emma Southon
Autor:in

Emma Southon promovierte in Alter Geschichte, gab dann aber nach einigen Jahren als Dozentin für antike und mittelalterliche Geschichte die akademische Welt auf und begann, zu ihrem eigenen Vergnüg

Gibt es eine Frau, die dich bei deinen Recherchen besonders überrascht hat? Und welches Kapitel oder welche Geschichte hat dich persönlich am meisten berührt oder beeinflusst?

Ich glaube, Julia Felix‘ Geschichte ist es, die mich beim Schreiben des Buches am meisten überrascht hat. Dr. Sophie Hay aus Pompeji, die das Julia-Felix-Gebäude liebt, hat mir von ihr erzählt, und zunächst war ich mir nicht sicher, ob ich der Archäologie einen Menschen abtrotzen könnte. Als ich anfing, die Ausgrabungsberichte zu lesen und mir den von ihr in Auftrag gegebenen Fries von Pompeji am Markttag und all ihre Designentscheidungen genau anschaute, war ich wirklich begeistert, wie viel Persönlichkeit man in ihrem Komplex erkennen kann. Die Überzeugungskraft, die sie gehabt haben muss, um eine Straße zu verlegen, damit sie ihre Räumlichkeiten erweitern konnte, die Einzigartigkeit, mit der sie ihre Kund:innen aus der Mittelschicht im Fries des Atriums als Kunst darstellte, und der Stolz, den die Gemälde von Essen in ihren Privaträumen zeigen, lassen vermuten, dass sie auf ihre Arbeit stolz war. Das alles ist in der Archäologie sichtbar, und das ist sehr bewegend, denke ich.

 

»Die traditionelle Geschichtsschreibung konzentriert sich auf die Ereignisse und Bereiche, die Frauen von Natur aus ausschließen: Krieg und Politik. Die einzigen Frauen, die darin vorkommen, sind diejenigen, die die Grenzen des angemessenen weiblichen Verhaltens überschreiten. Stattdessen habe ich versucht zu zeigen, wie das Imperium wuchs und sich veränderte und wie sich die Vorstellung, ein:e Römer:in zu sein, mit ihm veränderte.«

 

Wie bist du bei deinen Recherchen vorgegangen und welche Herausforderungen gab es dabei?

Der erste Teil der Recherche bestand aus einer Menge Lektüre, um lange Listen von Frauen aus den verschiedenen Epochen zu erstellen und sie dann auf 21 zu reduzieren. Diese Liste änderte sich im Laufe des Schreibprozesses stark, da sich einige Kapitel als zu ähnlich zueinander herausstellten oder zusammengelegt bzw. aufgegeben werden mussten, so dass der Schreib- und der Rechercheprozess für mich sehr eng miteinander verbunden sind. Die größte Herausforderung bestand darin, für einige Epochen der römischen Geschichte überhaupt Frauen zu finden, vor allem für die frühe und mittlere Republik, wo wir uns auf literarische Quellen verlassen müssen, die einen sehr männlichen Fokus haben. Es war harte Arbeit, eine Geschichte zu finden, in der es nicht um die Mutter von Coriolanus ging! Ein anderes Mal wiederum bestand die Herausforderung darin, auszuwählen, welche Frauen eine Epoche repräsentieren sollten. Ich hätte so viele Frauen aus der Späten Republik wählen können (Fulvia oder Cornelia, die Mutter der Gracchen, zum Beispiel) oder auch eine beliebige Anzahl weiblicher Heiliger und Märtyrerinnen.

 

Wie unterscheidet sich deine Darstellung der römischen Geschichte von den traditionellen, von Männern dominierten Erzählungen?

Die traditionelle Geschichtsschreibung konzentriert sich auf die Ereignisse und Bereiche, die Frauen von Natur aus ausschließen: Krieg und Politik. Eine traditionelle Geschichte des Römischen Reiches ist eine Litanei von Schlachten, Konsuln und Kaisern, und die einzigen Frauen, die darin vorkommen, sind diejenigen, die die Grenzen des angemessenen weiblichen Verhaltens überschreiten. Indem ich mich weigerte, nur diese Geschichten zu erzählen, und mich auf das Leben der Frauen konzentrierte, habe ich die Geschichte des Römischen Reiches ohne Schlachten und Senatsdebatten erzählt. Stattdessen habe ich versucht zu zeigen, wie das Imperium wuchs und sich veränderte und wie sich die Vorstellung, ein:e Römer:in zu sein, mit ihm veränderte. Das ist ein bisschen glaubwürdiger und etwas weniger blutig!

 

»Dies ist nicht nur ein Buch über das Leben historischer Frauen, sondern eines über die Geschichte des Frauseins.« THE TIMES LITERARY SUPPLEMENT

 

Auf welche Weise kann dein Buch zur aktuellen Debatte über Geschlechterrollen und die Darstellung von Frauen in der Geschichte beitragen?

Ich hoffe, dass mein Buch den Leser:innen helfen wird, zu erkennen, wie viele verschiedene Arten von Geschichten es über Frauen in der Vergangenheit gibt. Es gibt mehr als nur unterdrückte Hausfrauen und böse Kaiserinnen. Ich möchte mit dem Buch eine Diskussion darüber anstoßen, welche Art von Frauengeschichten wir erzählen, wenn wir Geschichte schreiben. Wenn wir nur Geschichten von Frauen erzählen, die Grenzen überschreiten, verzerren wir unsere eigene Geschichte und lassen Grenzüberschreitungen als die einzige aktive Möglichkeit erscheinen, die Frauen haben, Teil der Geschichte zu sein. Frauen wie Tullia haben aber auch in den brutalsten patriarchalischen Gesellschaften eigene Handlungsfähigkeit, Glück und Erfüllung gefunden. Auch Frauen, die sich gut benehmen, können Geschichte machen – sie erzählen uns mehr darüber, wie es wirklich war, eine Frau in der Welt zu sein – und sie verdienen es, dass auch ihre Geschichten erzählt werden!

Urheber:innen

Frauen schreiben Geschichte

#HerStory im Gespräch