Rebekka Eder über das große Finale der Stollwerck-Saga
Liebe Frau Eder, haben Sie in Ihrer Reihe eine Lieblingsheldin?
Tatsächlich ja. Therese Stollwerck, die Hauptfigur aus dem finalen Band. Natürlich liebe ich auch die Heldinnen der ersten beiden Bände der »Schokoladenfabrik«. Aber Therese mit ihrem gefährlichen Temperament hat mich sogar noch einen Tick mehr in ihren Bann gezogen.
Therese Stollwerck ist die jüngste Schwester der Gebrüder Stollwerck. Was hat Sie daran gereizt, ihre Geschichte zu erzählen?
Zur historischen Therese Stollwerck konnte ich – wie bei sämtlichen Frauen der frühen Stollwerck-Generationen – nur wenige Informationen finden. Aber die Details, auf die ich gestoßen bin, haben mich innehalten lassen: Zum einen war da ein Brief ihrer Schwester Elisabeth an den ältesten Bruder Nikolaus. Darin schreibt sie, dass Therese »den Starrkopf ihres Vaters erbte, nichtsdestoweniger seinen Verstand und Geist« und dass sie »mit jüngsten Herrn im Volksgetümmel abends zwei Stunden auf der Straße« bummelte. Zur damaligen Zeit ein nahezu skandalöses Verhalten für eine junge, unverheiratete Frau.
Zum anderen stieß ich auf eine alte Familienlegende: Therese Stollwerck soll unter dem Pseudonym T. Resa als Hauspoetin für die Firma geschrieben haben. Bis heute liegen zahlreiche Gedichte, Geschichten, Merksprüche und Werbeanzeigen vor, die mit dem Namen T. Resa unterzeichnet wurden. Zwar fand ich bei der weiteren Recherche heraus, dass sich in Wahrheit die Dichterin Dr. Therese Gröhe hinter diesem Pseudonym verbarg, dennoch ließ mich diese Vorstellung nicht los: Eine junge Frau, die im Unternehmen der eigenen Familie mitwirken möchte, aber dazu gezwungen ist, sich hinter einem Pseudonym zu verstecken …
Es war also schwieriger, Informationen über die Frauen der Familie Stollwerck zu finden, als über die Männer?
Sehr viel schwieriger, ja. Gerade in den frühen Generationen der Familie standen die Frauen eindeutig im Hintergrund, über sie wurde kaum etwas dokumentiert. Beispielsweise der Name von Anna Sophia Stollwerck, der Mitgründerin der Schokoladenfabrik, taucht vor allem dann in Verträgen und Rechnungen auf, wenn ihr Mann mal wieder insolvent war. Abgesehen davon konnte ich einzig ihre Herkunft und die Geburtsdaten ihrer elf Kinder in Erfahrung bringen. Natürlich spiegelt das die Rolle der Frau in der damaligen Zeit wider.
Bei der Arbeit an Band 3 habe ich allerdings eine spannende Entwicklung feststellen können: Die Geschichten der Frauen der dritten Generation sind erstmals von den Nachfahren dokumentiert worden. Vielleicht zeigt sich hierin eine beginnende Veränderung des Blicks auf Frauen …
Und wie sind Sie an diese Informationen gelangt?
Es war eines der schönsten Erlebnisse während meiner Arbeit an der Reihe: Mit einem Mal tauchte wiederholt der Name Stollwerck unter den Absender:innen in meinem E-Mail-Postfach auf. Nachfahren meiner Figuren-Vorbilder hatten meine Romane entdeckt und sie gelesen! Ich konnte mein Glück kaum fassen und telefonierte mit einzelnen Familienmitgliedern. Zu meiner großen Erleichterung waren sie von den ersten beiden Bänden begeistert. Und zudem unglaublich hilfsbereit. Ich erfuhr, dass Stollwerck-Nachkommen in mehreren Ländern noch immer gut miteinander vernetzt sind, ihre Familiengeschichte pflegen und sie weiter überliefern. So durfte ich kleine Biographien weiblicher Stollwercks wie Apollonias Töchter Bertha und Sophie lesen. Beide müssen eindrucksvolle Frauen gewesen sein. Die eine, Bertha, hat das Weingut ihres Mannes zu großem Erfolg geführt, die andere, Sophie, hat sich mehrfach scheiden lassen, lebte in einer Villa namens Sophienhöhe, gründete 1934 den »Freundes- und Förderkreis der Arbeitsstätte für Nietzsche-Forschung Sophienhöhe« und gewährte dort Wissenschaftlern Unterkunft, um Studien und Werke im Geiste Nietzsches zu schaffen.
Sophie, Thereses Nichte, spielt in diesem Band ja auch eine wichtige Rolle. Ohne zu viel zu verraten: Welche Facetten wollten Sie mit dieser Figur aufzeigen und welche liegt Ihnen vielleicht besonders am Herzen?
In den Unterlagen der Nachfahren wurde Sophie als exaltiert und kurios beschrieben. Sie war nicht nur für ihre Scheidungen bekannt, sondern auch dafür, gern heftig mit den Augen gerollt, Nietzsche verehrt, Adolf Hitler einen Verbrecher genannt und den Nationalsozialismus entschieden abgelehnt zu haben. Obwohl sie eindeutig aus dem Frauenbild ihrer Zeit fiel, ging sie entschlossen ihren Weg. All diese Eigenschaften haben mich zu meiner Figur Sophie inspiriert: ein starker, aber auch schwieriger Charakter.
Als ich mich mit ihr beschäftigte, hat sich mir immer wieder eine Frage aufgedrängt. Die männlichen Nachkommen der Gebrüder Stollwerck haben es nicht geschafft, in die gewaltigen Fußstapfen ihrer Väter zu treten, so dass die Familie bereits in den 1930er Jahren aus dem Unternehmen gedrängt wurde. Hätte es eine der beeindruckenden Töchter wie Sophie im Gegensatz zu ihnen vielleicht gekonnt?
Ein wichtiger Protagonist bleibt, wie auch in den Vorgängerbänden, die Schokoladenfabrik selbst. Der Fortschritt der Technologie und die Expansion des Familienunternehmens werden hier mit jeder Zeile spürbar, doch durch die Augen einiger Figuren gewinnt die Fabrik immer wieder ihr Märchenhaftes zurück. Sehen Sie darin nicht einen Widerspruch?
Doch, durchaus. Aber die Menschen der damaligen Zeit verbanden mit der Schokoladenfabrik tatsächlich beides: Zum einen Moderne, Fortschritt, Technologie. Sogar auf den Schokoladeverpackungen wurde damit geworben, wie viele Fabriken und Dampfmaschinen die Firma besaß. Zum anderen lösten das verwunschene, schlossartige Aussehen und die herrlichen Düfte der Fabrik märchenhafte Assoziationen bei den Kölner:innen aus. Stollwerck nutzte auch das, legte der Schokolade Märchenbilder bei und brachte ein edles Märchen-Sammelalbum heraus.
Es war genau diese Gleichzeitigkeit der scheinbaren Gegensätze, die mich interessiert hat. Und dann hat sie mich auch persönlich eiskalt erwischt: Und zwar, als mich ein ehemaliges Stollwerckmädchen anrief und zu sich nach Hause einlud. In den 60er Jahren hat die heute Siebzigjährige den ihrer Meinung nach schönsten Job in der Fabrik ergattert: Sie durfte mit dem Aufzug durch die Schokoladen-, Pralinen- und Pfefferminzabteilungen fahren und die Süßigkeiten transportieren. Ihre Begeisterung – und ihren Fahrstuhl – werden Sie ebenfalls in Band 3 wiederfinden …
Und zum Schluss: Möchten Sie Ihren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?
Ich wünsche Ihnen ganz viel Freude beim Lesen! Und mein Tipp: Am besten schmeckt dazu eine (möglichst große!) Auswahl an hübsch verzierten Schokoladenpralinen.