28. Nov. 2022

Der zweite Teil der großen Saga über die Frauen von Bloomsbury

In ihrer Trilogie »Die Liebenden von Bloomsbury« erzählt Stefanie H. Martin von der Bloomsbury Group, einer Gruppe junger Menschen, deren Leben und Lieben die Welt in die Moderne führen sollten. Hier spricht die Autorin über Vanessa Bell, der Schwester Virginia Woolfs, auf der im zweiten Band der Fokus liegt.

Die Bände 2 und 3 erscheinen am 6. Dezember 2022 und 19. Juni 2023.

Vanessa Bell war nicht nur die Schwester Virginia Woolfs, sondern auch eine Malerin, die sich in ihrem Werk intensiv mit der beginnenden Moderne auseinandergesetzt hat. Dennoch ist ihr Name in der Kunstgeschichte kaum präsent. Warum wurde sie bis heute nicht wirklich entdeckt, und warum hatten Sie Lust, von ihr zu erzählen?

Vanessa Bell war eine Frau, die aus ihrem Leben ein Kunstwerk gemacht hat. Sie war kompromisslos in ihrem Drang nach künstlerischer Entfaltung. So war sie diejenige, die für sich und für Virginia die Voraussetzungen geschaffen hat, die es ihnen beiden ermöglichten, ihren Traum vom Malen und vom Schreiben umsetzen zu können. Sie war in ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung die radikalere der beiden Schwestern und hat sich auf eine Weise von den Traditionen und Konventionen ihrer Gesellschaftsschicht abgewandt, die ungeheuren Mut erfordert haben muss. Sie musste dafür viele Opfer bringen.

In vielen ihrer Bilder drücken sich dieser Mut und die Eigenwilligkeit Vanessas aus. Warum sie jedoch weitgehend unentdeckt geblieben ist, lässt sich nur vermuten. Zum einen ist es natürlich der übergroße Ruhm ihrer Schwester, der seinen Schatten auf sie warf. Zum anderen muss man wohl davon ausgehen, dass ihr unkonventioneller Lebensstil sich negativ auf ihre künstlerischen Rezeption ausgewirkt hat. Es ist eine Tatsache, dass männliche Künstler, wie zum Beispiel Picasso, für die Öffentlichkeit interessanter wurden, wenn sie ein skandalöses Privatleben führten. Für Künstlerinnen hingegen war das eher eine Bürde. Vanessa Bells Gemälde wurden über viele Jahrzehnte nur vereinzelt ausgestellt, und im Gegensatz zu ihren Weggefährten Duncan Grant und Roger Fry wurde sie bis 2017 nie mit einer Einzelausstellung geehrt.

Wenn man heute mit Bloomsbury-Kennern über Vanessa Bell spricht, dann steht häufig ihr Liebesleben im Vordergrund und nicht ihre Kunst. Ich wollte zeigen, dass ihr Liebesleben die Voraussetzung für die großartige Kunst war, die sie schuf. In beidem war sie mutig, innovativ, einzigartig – »larger than life«, wie die Engländer sagen. So ist mein Roman in gewisser Weise auch eine Verneigung vor dieser besonderen Frau.

 

In Ihrem Roman geht es nicht nur um Vanessas künstlerische Entwicklung, sondern auch um ihre Liebesbeziehungen, die teilweise selbst aus heutiger Sicht noch als unkonventionell gelten würden. Wie hat diese Frau es geschafft, ihren Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung in den engen gesellschaftlichen Grenzen ihrer Zeit durchzusetzen?

Das Besondere an Vanessa Bell ist, dass sie es eben nicht innerhalb der gesellschaftlichen Grenzen ihrer Zeit getan hat, sondern indem sie aus diesen Grenzen herausgetreten ist – was unfassbar mutig war.

Sie hat Duncan Grant, diesen Homosexuellen par excellence, geliebt und ist für diese Liebe im wahrsten Sinne des Wortes bis ans Ende ihrer Welt gegangen. Sie hat das abgelegenste Bauernhaus in Sussex gemietet, das sie finden konnte, um dort fern von der Gesellschaft, in der sie groß geworden ist, in einer ménage-a-trois zu leben. Natürlich konnte sie das nur, weil ihr Mann, Clive Bell, sich nicht gegen sie gestellt, sondern ihren Lebenstraum mitgetragen hat. Sie haben eine offene Ehe geführt, hatten beide ihre Lebenspartner und sind Freunde geblieben, bis an ihr Lebensende. Während sie so in gewisser Weise den Konventionen genügten, lebten sie innerhalb ihres Zirkels, der Familie, den Bloomsbury-Freunden, genau das Leben, das sie wollten: in geistiger, künstlerischer und sexueller Freiheit. Dass so etwas natürlich nicht ohne Konflikte vonstattengehen kann, ist nachvollziehbar. Und auch davon erzählt dieser Roman.

 

Wie haben Sie sich dem Thema Bloomsbury angenähert? Inwieweit ist die Romanhandlung authentisch, und wie nahe kommen Ihre Figuren den tatsächlichen Menschen von damals?

Die Liebenden von Bloomsbury – Vanessa und die Kunst des Lebens
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Es gibt wohl kaum einen Freundeskreis, aus dem so viel biographisches und autobiographisches Material hervorgegangen ist wie aus der Bloomsbury Group, schließlich waren sie fast alle Literaten, schrieben eifrig Briefe und Tagebücher, wurden berühmt wie Lytton Strachey, Maynard Keynes oder auch Duncan Grant oder sogar, wie im Falle Virginias, zu Ikonen stilisiert. Ich hatte mir historisch-biographische Treue auf die Fahne geschrieben und wollte diesen Menschen so gerecht wie nur möglich werden. Doch die Fülle an (auto-)biographischem Material ist Fluch und Segen zugleich. Es gilt, aus der historischen Rohmasse genau die Szenen und Ereignisse herauszufiltern, die sich zu einer packenden Romanhandlung verarbeiten lassen, Spannung zu erzeugen, ohne die belegten Fakten zu verdrehen. Bloomsbury hat es mir leicht gemacht, denn das Leben dieser Menschen war so angefüllt mit Konflikten, Drama und Emotion, dass ihr Leben selbst wie ein Roman war. Meine schriftstellerische Aufgabe aber, die Wahrheit zur Fiktion, zu meiner Geschichte werden zu lassen, konnten sie mir nicht abnehmen. Und so sind natürlich all diese Persönlichkeiten, wie sie im Roman auftreten, gefiltert durch meinen Geist, sind ihre Gedanken und Gefühle in letzter Konsequenz auch meine. Ich kann aber versichern, dass alles, was in dieser Geschichte geschieht, der Wahrheit entspricht, keine Figur erfunden ist und nur ich ganz selten aus erzählökonomischen Gründen minimal in den historisch belegten zeitlichen Ablauf eingegriffen habe.

 

Sie beschreiben mit der Bloomsbury Group eine Gruppe schillernder Gestalten, die in einer Welt an einem historischen Wendepunkt lebte. Worin lag für Sie die Herausforderung, über diese Menschen zu schreiben, und was war daran reizvoll?

Die Bloomsberries »lebten« nicht nur einfach in einer Zeit des Wandels – sie haben ihn durch ihre Schriften und Werke entscheidend mitbestimmt. Virginia Woolf und ihre Schwester Vanessa haben Teile der geistigen Elite Großbritanniens der damaligen Zeit um sich versammelt. Männer natürlich, oft homosexuell, einer brillanter als der andere. Sie waren Intellektuelle und zugleich Revolutionäre, sie nährten ihre Ideen aus den Schriften der alten Griechen, der klassischen Literatur, waren geprägt vom konservativen Geist ihrer viktorianischen Elternhäuser und lehnten sich zugleich gegen das Althergebrachte auf. Alles, was in der Gesellschaft bis dato als unverrückbar angenommen wurde, stellten sie in Frage: vom Imperialismus bis hin zur Tabuisierung von Sexualität. Darin lag die Herausforderung. Wie den Esprit dieser Bloomsbury-Treffen erzeugen, die Brillanz dieser so unterschiedlichen Menschen greifbar machen mit meinen im Vergleich – wie mir schien – bescheidenen Mitteln? Ich habe oft gezweifelt und war nicht selten verzweifelt. Meine Dialoge brauchten Sprachwitz, literarische Anspielungen, analytische Schärfe, Klugheit und manchmal Pathos – was für ein Anspruch! Aber genau darin lag auch der besondere Reiz. Es galt, sämtliche Gewürze zum Einsatz zu bringen, die mir schriftstellerisch zur Verfügung standen und daraus ein harmonisches und köstliches Mahl zu bereiten.

 

Ihre Trilogie heißt »Die Liebenden von Bloomsbury«, und tatsächlich spielt die Liebe in all ihren Facetten eine große Rolle im Leben der Figuren. Inwieweit wird die Liebe hier zum Instrument der Freiheit?

»Bloomsbury« gilt als Synonym für eine sexuelle Revolution. Viele der »Bloomsberries« waren homosexuell oder probierten zumindest eine Zeit lang die Liebe zum eigenen Geschlecht aus. Die Männer unterhielten sexuelle Beziehungen untereinander, Virginia Woolf bekannte sich zu ihren »sapphischen Neigungen«, Vanessa Bell hatte ein Kind mit dem homosexuellen Maler Duncan Grant, etc. Über Sexualität wurde im Kreise Bloomsburys offen gesprochen, mit oft drastischen Worten – und das war das Revolutionäre daran. Im viktorianischen Zeitalter gehörte das Thema Sexualität hinter fest verschlossene Türen, Körperlichkeit war tabu. So sehr, dass man nicht einmal ein Wort wie »WC« in den Mund nehmen durfte. Homosexualität wurde mit Gefängnisstrafen geahndet. Wenn also Lytton Strachey mit Maynard Keynes ins Bett ging, begingen sie eine Straftat. Zu Beginn ihrer Freundschaft mit den Stephen-Schwestern Virginia und Vanessa blieb der »Anstand« noch gewahrt. Sie siezten einander und sprachen über Philosophie und Literatur. Im ersten Band der Saga erleben wir, wie sich das plötzlich ändert. In manchen Dingen waren diese Bloomsberries fortschrittlicher, als wir es heute sind. Es sind mehr als hundert Jahre vergangen, und noch immer müssen Menschen, die in Hinblick auf ihre Sexualität von einer gesellschaftlich propagierten Norm abweichen, um ihre Anerkennung kämpfen. So waren es auch diese Parallelen zu unserer heutigen Gesellschaft, die mich gereizt haben, über Bloomsbury zu schreiben.

Band 3 der großen Saga über die Frauen von Bloomsbury erscheint im Juni 2023.

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