12. Juli 2022

Henrik Siebold über japanische Bilder und das Japanbild im Wandel

Henrik Siebold hat mehrere Jahre in Tokio gelebt und für eine japanische Tageszeitung gearbeitet. Diese Erfahrungen fließen auch in sein literarisches Schaffen ein: Sechs Bände umfasst seine Krimireihe um den japanischen Inspektor Takeda inzwischen. Zum Erscheinen von »Inspektor Takeda und das schleichende Gift« schreibt er hier über das westliche Bild von Japan im Wandel und darüber, wie seine Bücher als Stätte der deutsch-japanischen Begegnung dienen.

Japan verschwimmt. Das ferne, fremde Land lässt sich nicht mehr so einfach mit wenigen Worten – mit wenigen Pinselstrichen – beschreiben. Nicht, weil wir weniger darüber wüssten. Sondern im Gegenteil, weil Japan uns vertraut geworden ist.

Sicher, Sushi, Zen und Manga sind immer noch Schlagworte, sind Stereotypen. Japaner lächeln, verbeugen sich, fangen Walfische. Sie sind höflich und detailversessen, technikbegeistert und opferbereit. Sie sind Nerds, verlieben sich in Roboter und feiern ihre Geburtstage mit Miet-Familien.

All das stimmt, all das ist Japan. Aber die Klischees, das wissen wir, sind nur kleine Fenster in eine ungleich größere, tiefere, reichere Kultur. Sie fasziniert uns, weil sie anders und fremd ist. Aber sie ist auch Teil unserer eigenen Welt geworden. Sushi gibt’s im deutschen Kleinstadt-Supermarkt, Anime laufen täglich auf Pro7, und ein Toyota ist keine Bedrohung der heimischen Autoindustrie mehr, sondern einfach nur ein gutes, umweltschonendes Auto.

Ich mache den Wandel unseres Japan-Bildes an drei Filmen fest. »Die Wiege der Sonne« (1993), in den Hauptrollen Sean Connery und Wesley Snipes, stellt uns Japan als undurchschaubar und gefährlich vor, als hinterhältig und invasorisch. Zehn Jahre später tritt Tom Cruise als japanischer Krieger auf: In »Last Samurai« (2003) wird Japan zum Hort der Tradition und Aufrichtigkeit, ein Heilmittel für den Westen, der seine Werte verloren hat. Und heute schauen wir »Drive my Car« (2021) und trauern gemeinsam mit Hidetoshi Nishijima und Tōko Miura um ihre Verluste, ihre Traumata. Wir blicken nicht mehr von außen auf die Japaner, egal, wie verhalten sie sind. Wir lieben und fühlen mit ihnen.

Japan besorgt uns nicht mehr. Nein, wir sorgen uns vielmehr um Japan. Wieland Wagner, langjähriger Tokio-Korrespondent des Spiegel, legt zu seinem Abschied ein Buch mit sprechendem Titel vor: »Japan – Abstieg in Würde.« Überalterung und Bevölkerungsrückgang, eine ächzende Wirtschaft, Fukushima. Dieses einst so mächtige Land wirkt zerbrechlich und unser Blick wird zärtlich und nachdenklich.

Vor inzwischen sechs Jahren betrat Inspektor Kenjiro Takeda die Bühne der deutschen Krimilandschaft. Ein japanischer Polizist, der in Deutschland ermittelt. Sein japanischer Blick richtet sich auf uns. Wir blicken mit deutschen Augen auf ihn, den attraktiven, klugen, melancholischen Ermittler aus Tokio.

Inspektor Takeda war ein Wagnis, ein Experiment mit unsicherem Ausgang. Inzwischen ist die Serie ein Erfolg, der mich beglückt. Auf Lesungen und durch zahlreiche Leserzuschriften erfahre ich, wie sehr Takeda berührt. Wie er inspiriert – dazu Krimis zu lesen, auch wenn man keine Krimis mag. Japanisch zu lernen, nach Japan zu fahren. Sich auf die deutsch-japanische Begegnung einzulassen, die so viel über die Japaner wie über uns selbst lehrt.

Nun also der sechste Band der Takeda-Reihe. Und es ist noch nicht zu Ende.

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