Kristin Hannah über ihren Roman »Die vier Winde«
Kristin Hannah, was hat Sie dazu inspiriert, einen Roman über die Zeit der Weltwirtschaftskrise und der verheerenden Staubstürme in Amerika zu schreiben?
Die Great Depression fasziniert mich seit Langem, und ich wollte erkunden, wie es war, in dieser Zeit zu leben. Schon immer fühle ich mich zu Geschichten hingezogen, die übersehen werden oder ins Abseits der allgemeinen Wahrnehmung geraten sind, ganz besonders wenn es um die Geschichten von Frauen geht.
Bei meinen Recherchen stieß ich dann auf die »Dust Bowl«, die Staubschüssel, wie die weiten Ebenen der amerikanischen Prärie genannt wurden, die von schweren Staubstürmen und eben solcher Dürre betroffen waren. Ich war geradezu fassungslos, welcher Hartnäckigkeit und Entschlossenheit es bedurft haben musste, um dort zu überleben. Mein Roman sollte den Überlebenskampf dieser Zeit zum Thema haben, und so konnte ich gar nicht anders, als davon zu erzählen, was die Menschen in dieser Gegend ertragen mussten.
Natürlich hatte ich nicht die leiseste Ahnung, dass die Welt im Jahr 2020 eine Pandemie erleben könnte, mit der diese Ära der Unsicherheit auf einmal wieder aktuell werden würde.
Wie kam Ihnen die Idee zu der Hauptfigur, Elsa?
Ehrlich gesagt, war Elsa für mich selbst eine Überraschung. Als ich anfing, den Roman zu schreiben, drehte sich alles um die Geschichte Loredas – Loreda, die als junge Frau mit den Schwierigkeiten und der Not durch die Dürre und die Weltwirtschaftskrise konfrontiert wird. Elsa war nur eine Nebenfigur. Aber je mehr ich schrieb, desto größeren Raum nahm Elsa ein. Szene für Szene kehrte ich immer wieder zu ihr zurück, zu dieser Frau, die solch eine Stärke besitzt und nichts davon ahnt. Einer Frau, der weder ihre Familie noch ihr Mann wirklich Aufmerksamkeit zollt.
Nach etwa einem Jahr gab ich auf – ich konnte nicht anders, als Elsa zum Mittelpunkt meiner Geschichte zu machen, und letztlich war diese Entscheidung der Ausgangspunkt, den Roman zu dem werden zu lassen, was er nun ist. Ich hatte mich schlicht verliebt – in Elsas Durchhaltevermögen, ihre Stärke und ihre Fähigkeit, bedingungslos zu lieben. Von all den Figuren aus meinen Büchern ist sie wohl diejenige, der ich am liebsten begegnen würde.
Dust Bowl, Dallas, South Dakota 1936
Reizt es Sie mehr, in die Innenwelten Ihrer Figuren einzutauchen und ihre Gedanken und Sehnsüchte nachzuvollziehen oder die äußere Entwicklung zu beschreiben, die sie durchleben? Denn in diesem Fall ist es eine ausgesprochen ausgedehnte, dazu körperlich erschöpfende Reise, die Ihre Figuren hinter sich bringen.
Ich liebe es zu recherchieren, um eine bestimmte Zeit und einen Ort zum Leben zu erwecken, aber letztlich sind es immer die Figuren, die das Herz und die Seele meiner Romane bilden. Mir geht es um ihre persönliche Entwicklung, um den Wandel, den sie in Phasen großer Not und Entbehrung durchleben. Ich glaube fest daran, dass sich in harten Zeiten der wahre Charakter der Menschen offenbart, und daher ist es meist genau das, worauf ich beim Schreiben mein Augenmerk lenke. Ich möchte Figuren erschaffen, die genauso lebendig sind wie die Menschen um uns herum, zugleich hoffe ich, dass man beim Lesen etwas von ihnen lernen kann – sei es über sich selbst, sei es über eine Epoche, die man nicht selbst erlebt hat.
Sehen Sie Parallelen zwischen den Fluchterfahrungen der Zeit der Wirtschaftskrise und dem, was man heutzutage in den Nachrichten liest? Erkennen Sie die Vergangenheit in unserer Gegenwart wieder?
Unbedingt. Eine der Inspirationen für diesen Roman war die aktuelle Einwanderungssituation in den USA. Mir war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in unserer Vergangenheit eine Zeit gab, in der wir unsere amerikanischen Landsleute als »Fremde« behandelt und ihnen Grundrechte verwehrt haben. Die Geschichte kann uns so viel darüber erzählen, wer wir sind und wer wir anstreben sollten zu werden. Ein großer Teil der Stärke Amerikas basiert auf Idealen – auf dem Glauben an Vielfalt, an Gleichberechtigung, an Chancen. Und die Vergangenheit lehrt uns, dass wir immer wieder für diese Ideale kämpfen müssen.
Außerdem wollte ich auf die Staubstürme der »Dust Bowl« aufmerksam machen, die als die größte Umweltkatastrophe der amerikanischen Geschichte gelten. Der Klimawandel ist heute in unseren Nachrichten sehr präsent, und mir ist es wichtig, daran zu erinnern, dass der Mensch definitiv einen Einfluss hat auf das Land und die Welt, in der wir leben. Die Wissenschaft kann uns warnen und uns retten – wenn wir denn auf sie hören. Aber um diese Welt für unsere zukünftigen Generationen zu bewahren, werden große Anstrengungen nötig sein.
Wofür steht der Titel »Die vier Winde«, und was bedeutet er Ihnen?
Das Wort »Wind« schien mir von Anfang an passend für den Titel dieses Buches, wie hätte es anders sein können bei all den Staubstürmen und andauernden, heulenden Winden, die über die Ebenen tosen. Dennoch hat es eine Weile gedauert, die richtige Kombination zu finden. In »Die vier Winde« war ich schließlich ganz vernarrt, weil dieser Titel ebenso auf den Wind selbst anspielt wie auf die Wirkung, die er auf Menschen haben kann. Ihm scheint etwas fast Schicksalhaftes innezuwohnen, denn im Englischen spricht man davon, dass Menschen »aus den vier Winden kommen«, also aus allen Himmelsrichtungen dieser Welt, um dann wiederum »in alle vier Winde zerstreut« zu werden. Und es waren auf jeden Fall die Winde ihrer Heimat, die Elsa und ihre Kinder gen Westen getragen haben, wo sie ein Leben führten, das sie in dieser Form niemals erwartet hätten. Ein hartes Leben, voller Armut und Ungerechtigkeiten, aber zugleich ein Leben voller Liebe und Freundschaft, für das es sich zu kämpfen lohnt. Und all das wegen der vier Winde.