25. Juli 2022

Ein Brief von Bestseller-Autorin Caroline Bernard an die Leser:innen ihres neuen Romans

Wie schon in ihrem internationalen Bestseller »Frida Kahlo und die Farben des Lebens« beweist Caroline Bernard in »Die Wagemutige« erneut ihr feines Gespür für außergewöhnliche Frauenschicksale. Der Roman erzählt Lisa Fittkos Lebensgeschichte zwischen politischem Widerstand und der Suche nach persönlichem Glück. Im Brief an ihre Leser:innen schildert Caroline Bernard ihre Eindrücke von ihrer Reise auf den Spuren einer vergessenen Heldin.

Liebe Leser:innen von »Die Wagemutige«,

 

erinnern Sie sich an die Schlussszene von »Casablanca«? Humphrey Bogart drängt Ingrid Bergmann, in ein Flugzeug zu steigen, um an der Seite ihres Mannes weiter gegen die Nazis zu kämpfen. Er weiß, er wird sie nie wiedersehen, obwohl sie die Liebe seines Lebens ist. Diese Szene hat mich mit Anfang zwanzig mitten ins Herz getroffen und sie berührt mich noch heute, weil sie mir zeigte, dass es manchmal Wichtigeres gibt als das eigene Glück. Beim Schreiben der Geschichte von Lisa Fittko, deren Leben ich in »Die Wagemutige« erzähle, hatte ich diese Szene immer im Hinterkopf. Denn auch Lisa muss sich zwischen der Liebe und dem Kampf für Gerechtigkeit entscheiden.

Lisa Fittko (1908-2005) war Jüdin und Antifaschistin und von Anfang an im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. 1940 war sie in Paris gestrandet und nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht erneut gefährdet, denn die Vichy-Regierung hatte sich bereiterklärt, alle Nazigegner an Deutschland auszuliefern. Lisa wurde in ein Internierungslager gesperrt und floh von dort nach Marseille. Sie sprach gut Französisch, verstand es, sich unsichtbar zu machen und die Harmlose zu spielen, sie war furchtlos und bereit, für ihre Ideale Gefahren auf sich zu nehmen.

 

All das half ihr, als sie an die spanische Grenze fuhr, um einen Weg zu suchen, der illegal aus Frankreich herausführte. Als sie gefragt wurde, ob sie auch Anderen helfen könnte, das Land zu verlassen, zögerte sie nicht. Gemeinsam mit ihrem Mann Hans führte sie an den Grenzpolizisten vorbei mehr als zweihundert Menschen über die Pyrenäen nach Spanien und rettete ihnen damit das Leben. Der erste, den sie hinüberbrachte, war der Philosoph Walter Benjamin.

 

Auf den Spuren ihres bewegenden Lebens war ich in Marseille, wo sie 1940 über Monate hinweg mit Tausenden anderen Flüchtlingen ums Überleben kämpfte und einen Weg raus aus Europa suchte. Ich habe das ehemalige Internierungslager Gurs in der Nähe von Lourdes besucht, in dem sie eingesperrt war und aus dem sie geflohen ist.

Caroline Bernard

Ich bin den atemberaubenden Weg über die Pyrenäen von Banyuls in Südfrankreich nach Port Bou in Spanien im Sommer 2021 nachgegangen. Trotz Markierungen und Apps habe ich mich mehrfach verlaufen, bin auf Schotter ausgerutscht und gestürzt und habe zwei Zehennägel verloren. Als ich nach Stunden endlich in Port Bou ankam, war ich zu Tode erschöpft. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, was die Menschen damals auf sich genommen haben, um Hitlers Schergen zu entkommen.

Caroline Bernard

Lisa Fittko hatte nur eine handgezeichnete Skizze, sie trug Stoffschuhe und war hungrig und sie wusste, dass es für sie und ihre Schützlinge direkt in die Gefängnisse der Gestapo gehen würde, wenn man sie erwischte. Und dennoch hat sie den Weg bei glühender Hitze und bei Schneetreiben zwei bis drei Mal in der Woche gemacht.

 

Anstatt sich selbst zu retten, rettet sie Andere. Doch dann begegnete sie in Marseille Louis, einem Amerikaner, der für sie wie eine Verheißung war und in den sie sich rettungslos verliebte. Mit Louis tanzt sie zum ersten Mal in ihrem Leben, an seiner Seite darf sie unbeschwert glücklich sein, er sieht in ihr die begehrenswerte, schöne junge Frau und nicht die Widerstandskämpferin. Von ihren Aktivitäten weiß er nichts. Er bietet ihr an, sie mit nach Amerika zu nehmen, um ein ganz normales Leben in Sicherheit zu führen. Er kauft sogar zwei Schiffspassagen …

 

Lisa Fittkos Geschichte spielt vor dem Hintergrund der deutschen Besatzung in Frankreich. Sie zeigt ein Stück deutsch-französische Vergangenheit. Viele deutsche Emigranten, für die Frankreich bis dahin das Land war, das ihnen Asyl und ein Auskommen – wenn auch ein bescheidenes – bot, fanden sich plötzlich als feindliche Ausländer in Internierungslagern wieder. Der Roman erzählt auch die Geschichte des amerikanischen Emergency Rescue Committees, das Deutschen Visa für die USA verschaffte.

 

Er erzählt vom Widerstand gegen die Deutschen in Frankreich, an dem sich auch viele Frauen beteiligten. Sie trugen nicht immer eine Waffe in der Hand, aber ohne ihre kleinen Aktionen, die Steinchen in das Räderwerk der Diktatur warfen, hätte es keinen Sieg über den Faschismus gegeben. Frauen versteckten Flüchtlinge und Soldaten, sie gaben ihnen zu essen. Sie gaben Nachrichten weiter, nahmen jüdische Kinder als ihre eigenen auf, um sie zu retten. Sie halfen Menschen zu retten, so wie Lisa Fittko. Frauen hatten viele kleine Hände, die das Netz des Widerstands zusammenhielten und es flickten. Weiblicher Widerstand war auch so etwas wie ein Labor der Emanzipation. Vielen Frauen ging es nicht um militärische Siege, sondern um Werte wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Viele Frauen im Widerstand wurden in deutsche Lager verschleppt, einige starben unter der Guillotine. Die überlebten, sprachen nicht darüber, was sie geleistet hatten, weil sie es für selbstverständlich hielten, keine große Sache.

 

Lisa Fittko war eine von ihnen, eine junge Frau, die ganz andere Wünsche an das Leben hatte als im Widerstand zu sein. Sie war eine Frau, die es verstand, die kleinen Dinge des Lebens zu genießen und daraus Kraft zu schöpfen. Die begabt zur Freundschaft und bereit für die große Liebe war. Sie war ein ganz besonderer Mensch, ein Vorbild. Erst mit achtzig Jahren fing sie an, ihre Geschichte zu erzählen. Aber viel zu wenige wissen von ihr und ihrem Mut.

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