07. März 2023

Christoph Elbern über seinem neuen Krimi und die Schatten des deutschen Kolonialismus

Kurz nachdem Offizier Ludolf Harberg aus Deutsch-Ostafrika nach Hamburg zurückkehrt, stirbt er an der berüchtigten Schlafkrankheit. Doch Bakteriologe Carl-Jacob Melcher vermutet einen verdeckten Mord: Musste Ludolf sterben, weil er ein Geheimnis kannte? Und was haben die Experimente von Robert Koch damit zu tun? »Tödlicher Schlaf« ist die spannende Suche nach Antworten vor dem Hintergrund deutscher Kolonialgeschichte. Im Gespräch erzählt Autor Christoph Elbern von seinem neuen Krimi und ordnet ihn in den historischen Kontext ein.

Der Whistleblower aus der Kolonie

In meinem historischen Krimi »Tödlicher Schlaf« steht – wie schon bei »Hafenmörder« – wieder der Bakteriologe Carl-Jakob Melcher im Mittelpunkt, der nach wie vor am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten unter dessen Gründer Bernhard Nocht in Hamburg arbeitet. Wir schreiben das Jahr 1907, und aus der Kolonie Deutsch-Ostafrika kommt ein deutscher Offizier zurück nach Hamburg, der an der berüchtigten Schlafkrankheit leidet. Carl-Jakob kennt diesen Ludolf Harberg, er ist mit ihm zur Schule gegangen.

Tödlicher Schlaf
Empfehlung

Hamburg 1907: Carl-Jakob Melcher ermittelt
Softcover
18,00 €

Ludolph Harberg erzählt seinem Freund Carl-Jakob in seinen seltenen wachen Momenten von der grausamen Niederschlagung der Aufstände der indigenen Bevölkerung in der Kolonie, die er, untypisch für einen Soldaten des Kaisers, aufs Schwerste verurteilt. Viel mehr beschäftigt den Sterbenden aber seine Begegnung mit dem berühmten Robert Koch, der zu dieser Zeit auf den Ssese-Inseln im Victoriasee eine Forschungsstation unterhält, in der er die Schlafkrankheit an tausenden Patienten erforscht. Als mögliches Heilmittel ist Atoxyl in der Erprobung, eine Arsenverbindung, die in hoher Dosierung tödlich ist.

Irgendwann stirbt Ludolf im Krankenhaus, und während die Ärzte die Schlafkrankheit für todesursächlich halten, verfolgt Carl-Jakob einen Mordverdacht. Musste Ludolf sterben, weil er ein Geheimnis hatte, das anderen schaden konnte? Und wo sind die Dokumente, die er angeblich aus Afrika mitgebracht hat und von denen er immer spricht? Heute würde man Ludolph wohl einen Whistleblower nennen. Eine spannende Suche beginnt, bei der Carl-Jakob plötzlich selbst unter Mordverdacht gerät.

Der tödliche Schlaf

Die Schlafkrankheit, wissenschaftlich: »Afrikanische Trypanosomiasis«, ist eine Tropenkrankheit, die den Menschen in den deutschen Kolonien in Ost- und Westafrika schwer zu schaffen machte. Besonders die indigene Bevölkerung war davon betroffen. Die Krankheit wird von einer Fliege namens Glossine, einer tagaktiven Stechmücke, auf den Menschen übertragen. Wochen, manchmal Monate nach der Infektion zeigen sich Symptome wie Lymphdrüsenschwellungen, Schüttelfrost, Ödeme und Fieber. Im weiteren Verlauf kommt es zu Bewusstseins- und Gleichgewichtsstörungen sowie Krämpfen. Am Ende, oft Monate, manchmal über ein Jahr nach der Infektion, fällt der Patient in eine Art Wachschlaf und stirbt schließlich.

Robert Koch und die gefährlichen Experimente

Für die deutschen Behörden und Grundbesitzer in den Kolonien war die Schlafkrankheit ein massiver Störfaktor. Die so dringend benötigten Arbeitskräfte starben zu Tausenden. Die weißen Herren selbst wurden nicht so häufig von der die Krankheit übertragenden Glossine gestochen. Man vermutet, dass es daran lag, dass sie dickere Kleidung trugen und sich tagsüber weniger im Freien aufhielten.

Nobelpreisträger Robert Koch, der 1907 nicht mehr Leiter des von ihm gegründeten Instituts in Berlin war, reiste, unterstützt von den deutschen und den britischen Kolonialverwaltungen und der Industrie, an den Victoriasee, um dort zu forschen. Er führte intensive Experimente mit Atoxyl durch. Heute geht man davon aus, dass in der britischen Kolonie, zu der die Ssese-Inseln gehörten, Experimente durchgeführt wurden, die in keiner Weise den damals in Europa gültigen ethischen Standards entsprachen. Es gibt keine Daten darüber, wie viele Menschen an der Krankheit und wie viele am Atoxyl starben.

Robert Koch hat damals kein wirklich zuverlässiges Heilmittel gefunden. Bis heute wird die Krankheit mit Medikamenten auf Arsen-basis behandelt. Die deutlich verbesserte Behandlung hat die Sterblichkeit allerdings auf 10% gesenkt.

Die Schatten deutscher Kolonialgeschichte

Robert Kochs Aktivitäten am Victoriasee habe ich als Nebenhandlung in eine fiktive Kriminalerzählung eingewoben und Figuren und Ereignisse hinzugedichtet. Ich maße mir nicht an, mehr über Robert Koch zu enthüllen, als ohnehin bekannt ist. Was mich interessiert ist die Zeit und ihre Menschen. Wie haben sie gedacht, was haben sie gefühlt, während sie taten, was sie taten?

Man sagt schnell über den Kolonialismus und über den mit Kochs Forschungen verbundenen Rassismus: Das war damals so, die wussten es nicht besser, die fühlten sich im Recht. Man muss das im Kontext mit dieser Zeit sehen.

Aber man wusste es besser. Es gab immer massive Kritik am Kolonialismus und nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus moralischer. Gebildete und ethisch sensible Menschen haben auch 1907 gewusst, dass die Unterwerfung, Versklavung und Ausbeutung der Völker des – heute so genannten – globalen Südens zu jeder Zeit inhuman oder sündhaft war, je nachdem nach welchem Kodex man sich nun richten mag. Das N-Wort war auch 1907 schon ein Schimpfwort.

Unsere Vorfahren sind deshalb nicht vollständig freizusprechen von der Schuld, die sie in den Kolonien auf sich geladen haben. Und wir sind heute in der Verantwortung die katastrophalen Folgen, die Kolonialismus überall in der Welt nach sich zieht, zu mildern und Schäden zu beheben und Gerechtigkeit herzustellen, wo immer es möglich ist.

Christoph Elbern, Hamburg, 2023

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