10. Juni 2024

»Gute Fotos machen, mit ihnen die Welt aufrütteln und wenn möglich den Lauf der Geschichte ändern«

Bestsellerautorin Caroline Bernard widmet sich in ihrem neuen Roman »Der Blick einer Frau« dem Leben der Fotografin Gerda Taro, deren Bilder von der Front des Spanischen Bürgerkriegs um die Welt gingen. Hier wendet sich die Autorin in einem persönlichen Brief an ihre Leser:innen und spricht von dieser lebenshungrigen Frau, ihrer Liebe zu Robert Capa und ihrem beeindruckend modernen Werk.
Porträtfoto Caroline Bernard
Autor:in

Caroline Bernard ist das Pseudonym von Tania Schlie. Die Literaturwissenschaftlerin arbeitet seit über zwanzig Jahren als freie Autorin.

Liebe:r Leser:in,

 

Gerda Taro war eine der ersten Frauen, die einen Krieg fotografiert haben. Sie ist eine der vielen »beklauten« Frauen, die Großes geleistet haben, deren Verdienste aber hinter denen von Männern verschwunden sind. In meinem Roman »Der Blick einer Frau« habe ich versucht, ihr ein Gesicht und eine Geschichte zu geben.

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Sie riskiert ihr Leben, um die Welt zu ändern
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Geboren wurde sie am 1. August 1910 als Gerta Pohorylle in Stuttgart. Die Eltern waren aus Ostgalizien nach Deutschland eingewandert. Schon vor 1933 agitierte Gerta mutig gegen die Nationalsozialisten, sie saß sogar einige Wochen in Schutzhaft. Nach ihrer Entlassung war klar, dass sie Deutschland verlassen musste, zumal sie Jüdin war. Ende 1933 ging sie allein nach Paris, verließ ihre Familie und ihren Verlobten. Sie schlug sich durch, denn sie verfügte über viele Fähigkeiten: Sie war gebildet, konnte Schreibmaschine schreiben, sprach sehr gut Französisch und Englisch; sie war sportlich, witzig und wunderschön und sie war solidarisch mit anderen und beliebt.

In Paris traf sie Endre Friedmann, der sie mit seiner Leidenschaft für die Fotografie ansteckte. In den 1930er Jahren entdeckten viele Frauen in Paris die Fotografie für sich, denn das Medium war jung, es gab auch für Frauen Entfaltungsmöglichkeiten und, ganz wichtig: Als Fotografinnen nahmen sie den Franzosen keine Arbeit weg und bekamen eher eine Aufenthaltserlaubnis. Gerta wollte noch mehr: Sie ahnte, dass in der Fotografie eine Magie steckte, sie fing an, in Bildern zu denken.

Gerda Taro, Guadalajara front, July 1937 Autor:in unbekannt, gemeinfrei, Wikimedia Commons
Gerda Taro, Guadalajara front, July 1937

Aus der beruflichen Zusammenarbeit mit Endre Friedmann wurde schnell eine große Liebe. Weil sie mit ihrem ostjüdischen Namen überall Misstrauen erregte, erfand Gerta sich kurzerhand neu. Sie nannte sich fortan Gerda Taro, und aus Endre Friedmann wurde Robert Capa. Aus beiden zusammen wurde ein Traumpaar, das Liebe und Werk miteinander verschmolz.

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Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg, 1937

Leider war die Zeit noch nicht reif für Frauen, die den Tod auf den Schlachtfeldern und Bombenangriffe auf unschuldige Zivilisten fotografierten. Gerda Taro musste täglich darum kämpfen, mit den Männern in die vordersten Linien zu kommen, aber sie nahm jede Mühe und jede Gefahr auf sich. Bald kannte man sie in Spanien als »Jägerin des Lichts«, als »pequeña rubia«,  die »kleine Blonde«.

Weil ihre Fotos technisch gut waren, emotional und nah dran, wurden die ersten Zeitungsredaktionen auf sie aufmerksam, ihre Fotos wurden weltweit gedruckt. Meistens wurde darauf verzichtet, ihren Namen zu erwähnen, oft stand nur Capas Name unter den Bildern. Das machte sie zornig: Sie war bereit, ihr Leben für eine gute Sache zu riskieren, da konnte sie wohl verlangen, dass die Welt wenigsten ihren Namen kannte!

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Republikanische Frau bei einer militärischen Übung, Barcelona 1936

Doch für ihren Einsatz zahlte sie den höchsten Preis. Ein paar Tage vor ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag wurde sie in der Nähe von Madrid von einem Panzer überrollt, am Abend des Tages, an dem sie die vielleicht wichtigsten Fotos ihrer kurzen Karriere geschossen hatte. Am nächsten Tag wollte sie zurück nach Paris fahren, zu Robert Capa, ihrer großen Liebe, ihrem copain. Hunderttausend Menschen folgten ihrem Sarg durch Paris bis zum Père Lachaise.

Bald darauf geriet Gerda Taro in Vergessenheit. Ihre Fotos, die an sie hätten erinnern können, gingen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren. Die Aufnahmen, die von ihr erhalten waren, wurden oft Robert Capa zugeschlagen.

Es ist einer dieser wunderbaren Momente in der Geschichte, die für Gerechtigkeit sorgen, dass Mitte der 1990er Jahre per Zufall in Mexiko Kartons mit Tausenden Fotos aus dem Bürgerkrieg gefunden wurden, die der damalige mexikanische Botschafter in Vichy-Frankreich mitgebracht hatte. Es dauerte dann noch einmal zehn Jahre, bis bei der wissenschaftlichen Untersuchung herauskam, dass ein großer Teil der Fotos nicht, wie immer angenommen, von Robert Capa, sondern von Gerda Taro stammte. Fast möchte ich sagen, es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, wie sehr Gerda Taro für Anerkennung gekämpft hat und wie stolz sie gewesen wäre, hätte sie erleben können, wie ihre Fotos, die einen ganz eigenen Blick auf den Spanischen Bürgerkrieg haben, nach Jahrzehnten des  Vergessens entdeckt und gefeiert wurden.

Nach Frida Kahlo, Simone de Beauvoir, und Lisa Fittko, ist Gerda Taro eine weitere starke Frau, die ich zutiefst bewundere. Sie ist einer der vielen Frauen, von denen wir mehr wissen und die wir uns als Vorbilder nehmen sollten: überaus mutig, mit einer festen Vorstellung davon, wie die Welt sein sollte, mit einer gewaltigen Lust auf das Leben und die Liebe.

Ich wünsche Ihnen inspirierende Lesestunden,

Ihre Caroline Bernard

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