»Wenige verstehen, dass es das Feuer unter den einfachen Worten ist, das zählt.«
Hier erzählt sie, wie Cathers scheinbar traditioneller Stil unter der Oberfläche bebt und brodelt. Und sie lädt uns ein, das unbekannte Werk dieser außergewöhnlichen Autorin endlich zu entdecken.
Was hat dich an Willa Cather so fasziniert, dass du sie nicht nur zu einer zentralen Figur in deinem Roman »Sommergäste« gemacht hast, sondern als Herausgeberin und Übersetzerin ihrer Storys dich noch viel tiefer auf ihr Werk und Leben eingelassen hast?
Eigentlich kam die Roman-Idee zuerst. In dem kleinen Museum auf meiner kanadischen Lieblingsinsel, Grand Manan, steht eine alte Schreibmaschine, die Cather angeblich während ihrer Sommeraufenthalte dort benutzte. Direkt daneben befindet sich ein Raum mit einer großen Sammlung präparierter Seevögel, die ein auf der Insel lebender Ornithologe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anlegte. Was, dachte ich, wenn die beiden sich begegnet wären? Von Cather hatte ich damals noch nie etwas gelesen. Ich merkte dann rasch, dass sie in Deutschland zu Unrecht nie bekannt geworden ist.
Willa Cather ist in ihrer schriftstellerischen Arbeit auf den ersten Blick eher traditionell, ihr Leben und sie als Person waren das ganze Gegenteil. Wie hat das Unkonventionelle Einzug in ihr literarisches Werk gefunden?
Ich glaube eher, dass die Person Cather auf den ersten Blick recht traditionell wirkt, von ihrer Kleidung bis zu ihren bildungsbürgerlichen Gepflogenheiten, etwa den großen Reisen nach England, Frankreich und Italien. Die Liebe und Loyalität zu Familie und Freunden waren ihr heilig, ebenso die Wertschätzung von Bildung und Kultur, Arbeitsmoral und -disziplin wurden bei ihr großgeschrieben, Respekt vor Fleiß und Ordnungssinn nicht weniger.
Zugleich gelang es ihr – was sicher nicht immer einfach war –, ihr Leben als lesbische Frau diskret in dieses traditionelle Wertesystem zu integrieren. Sie wollte unbedingt vermeiden, Aufmerksamkeit auf ihr Privatleben zu ziehen, obwohl sie andererseits durchaus ein bisschen eitel war und Anerkennung schätzte, die sich aber auf ihr Werk beziehen musste.
In ihrem Werk bebt und brodelt es, und zwar ganz dicht unter der Oberfläche; man muss ihre Sätze nur langsam genug lesen. Sie formuliert es selbst in einem Brief an ihren Bruder: »Man sagt, ich schreibe in einem ›klassischen Stil‹. Wenige verstehen, dass es das Feuer unter den einfachen Worten ist, das zählt.«
In ihrer Außergewöhnlichkeit sind wohl beide unkonventionell, die Frau und ihr Werk, aber dieses Unkonventionelle kommt nie flamboyant daher.
In welchem Verhältnis stehen Authentisches und Erfundenes in ihren Geschichten – gibt es auch bei ihr so etwas wie autofiktionales Erzählen?
»Autofiktion« ist so ein Mode-Begriff der letzten zwei Jahrzehnte, ein Etikett, das inzwischen nachträglich auch klassischen Autor:innen des 20. Jahrhunderts aufgedrückt wird, etwa Simone de Beauvoir oder Stefan Zweig. Das funktioniert bei Cather nicht.
Cather geriet zwar immer wieder in Schwierigkeiten, weil sie bestimmte Charakterzüge, körperliche Merkmale oder biographische Details von Bekannten und Verwandten allzu klar in ihrer literarischen Arbeit verwendete. Sie benutzte auch die Kleinstadt Red Cloud, in der sie aufgewachsen war, immer wieder als Vorbild und andere Elemente ihrer Biographie, besonders ihrer Kindheit und Jugend. Sie tat mithin das, was so viele andere Autor:innen tun und immer getan haben. Und wie diese verwendete sie diese Details, um neue Konstellationen und Konflikte zu schaffen, eben literarische Werke.
Der Reiz, die Biographie einer so auf ihre Privatheit bedachten Autorin wie Cather aus ihrem Werk heraus zu erzählen, lag für mich daher auf der Hand. Sie hatte ihr Leben lang immer wieder Erzählungen geschrieben, diese boten sich für einen solchen Ansatz als besonders geeignet an. Meine Auswahl enthält zudem Erzählungen, die zu ihren Lebzeiten nie in Buchform veröffentlicht wurden – sie sperrte sich dagegen. Erst nach ihrem Tod war es möglich, den gesamten Fundus zu lesen und daraus auch Biographisches neu zu erschließen, selbst wenn die hier übersetzten Erzählungen auf den ersten Blick gar nicht unbedingt etwas mit dem Leben der Autorin Willa Cather zu tun haben. Ich hoffe, so nicht nur ein herausragendes Werk, sondern auch die dahinterstehende Autorin der Öffentlichkeit zur Neuentdeckung ans Herz legen zu können.
Agnes Krups Debüt »Mit der Flut« (2017) war auf Anhieb ein Erfolg. In ihrem Roman »Sommergäste« (2020) setzte sie Willa Cather ein literarisches Denkmal. Anschließend erschien »Leo und Dora« (2022), jetzt neu der von ihr herausgegebene und übersetzte Erzählungsband: Willa Cather, »Der verwunschene Fels und andere Erzählungen« (2023). In ihrem Nachwort zeigt Agnes Krup, wie Leben und Werk Willa Cathers zusammengehören, dieser Ausnahmekünstlerin, die am 7. Dezember 2023 150 Jahre alt geworden wäre.