14. Febr. 2022

Véronique Olmi über ihren Roman »Die Ungeduldigen«

In »Die Ungeduldigen« begleitet Véronique Olmi das Schicksal von drei lebenshungrigen, ungeduldigen Schwestern, die durch die Höhen und Tiefen ihres jungen Lebens schlittern und große Träume verfolgen. Im Interview spricht Olmi über ihre Hauptfiguren, das Frankreich der »wilden Siebziger« und eine Welt im Wandel.

Ihr neuer Roman „Die Ungeduldigen“ zoomt mitten hinein ins Frankreich der siebziger Jahre – warum ausgerechnet in diese Zeit?

Der Roman beginnt 1970 in der Provinz, in einem sehr konservativen Milieu. Mir war diese Diskrepanz zu dem Erdbeben, das der Mai ´68 in Paris in den intellektuellen Kreisen ausgelöst hatte, sehr wichtig. Ich wollte vor allem ein Buch über den Nachhall schreiben, über die langsame Veränderung der Sitten – so wie die Kreise, die durch einen Stein entstehen, den man ins Wasser wirft. Ich wollte erzählen, wie sich der Wandel, der Umbruch ausbreitet und nach und nach alle Schichten der Gesellschaft erfasst und nicht nur ihre Mitte.

Die Hauptfiguren sind drei junge lebenshungrige Schwestern aus Aix-en-Provence. Ist das autobiographisch motiviert?

Ich bin in einer katholischen Großfamilie in Nizza aufgewachsen, habe in Aix-en-Provence gelebt, habe einen Bruder und vier Schwestern, von denen eine vor kurzem gestorben ist. Ich gehe also von einem Herzen aus, das ich gut kenne, nämlich dem der Geschwister – in diesem Fall sogar dem der Schwesternschaft. Die drei Schwestern sind sehr unterschiedlich und bekämpfen sich ebenso sehr wie sie sich lieben. Ihre Verbindung ist aus Komplizenschaft und Missverständnissen, Entfremdung und Liebesausbrüchen gewoben. Manchmal ist die Geschwisterliebe eine Belastung, manchmal eine Rettung. Aber die drei Schwestern im Roman sind nicht meine eigenen, sondern eher ich selbst, die in drei Personen zersplittert ist: Ich bin wie Hélène zwischen einem reichen Onkel in Paris und meinen armen Eltern in der Provinz aufgewachsen, ich bin wie Sabine nach Paris gegangen, um am Theater zu spielen, und ich würde sagen, was ich von Mariette, der jüngsten Tochter, übernommen habe, ist die Ablehnung der Religion trotz der Liebe zur Christusfigur. 

Alle drei Mädchen finden Stück für Stück ihren eigenen Weg in dieser neuen Zeit, die von der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung geprägt ist. Worin sehen Sie die Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen gesellschaftlichen Situation der Frauen?

Ich denke, dass dies ein langwieriger Kampf ist, wie ein Faden, den man abwickelt, und dass er noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Denn die Frauen haben noch lange nicht alles erreicht und gesagt. Heute sprechen wir zwar frei über sexuelle Übergriffe, die im Sport, im Journalismus, im Theater und in den verschiedenen Berufsgruppen erlitten werden. Aber in Frankreich erheben sich mehrere männliche Stimmen (u.a. der Philosoph Alain Finkielkraut und der Anthropologe Emmanuel Todd), die sagen: »Es reicht, jetzt ist es genug, jetzt ist es zu viel, die Frauen haben genug geredet!« Nein, sie haben nicht »genug geredet«, da sie längst nicht alles gesagt haben. Um Ihre Frage zu beantworten: Zwischen gestern und heute gibt es eine wiederkehrende Angst bei einigen Männern (und interessanterweise waren die beiden Intellektuellen, die ich gerade zitiert habe, im Jahr '68 Teenager), die sich durch die Reden der Frauen angegriffen fühlen. Das war schon immer so: der Wunsch, dass die Wut oder die Revolte doch »sanft und gemäßigt« verlaufen möge. Dabei meinen sie das Bild der Frau selbst, das »sanft und gemäßigt« sein soll und das ins Wanken gerät und manche von ihnen nach wie vor verängstigt.

 

Jetzt erscheint ihr Roman, großartig übersetzt von Claudia Steinitz, in Deutschland. Wie finden Sie das?

Es ist eine Treue von Anfang an. Ich begann, nach Deutschland zu kommen, um an den Aufführungen meiner Theaterstücke teilzunehmen, dann begleitete ich meine Romane und stellte sie vor. Ich erinnere mich noch gut an meinen Besuch beim Literaturfestival in Köln: ein großer, voll besetzter Saal, ein aufmerksames Publikum. Ein Abend, der umso unglaublicher war, als wir in Frankreich, im Gegensatz zu Ihnen, noch nicht an öffentliche Lesungen gewöhnt waren und diese auch nicht mochten. Es war eine Überraschung, ein unvergessliches Gefühl! Ich freue mich sehr drauf, im März wieder nach Deutschland kommen zu können.

 

Aus dem Französischen von Johanna Links, Lektorin im Aufbau Verlag

Véronique Olmi, Petra Schmidt Schaller und Annabelle Hirsch lesen aus »Die Ungeduldigen«

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