07. März 2024

»Die Eier sind ein Symbol, eine Brücke zwischen denen, die gegangen sind und denen, die geblieben sind«

Was ist Heimat, und wie lässt man die Provinz hinter sich? Sabine Rennefanz erzählt in »Kosakenberg« von einer Frau, die aus einem kleinen Dorf in Brandenburg fortgeht, um in der großen Welt ihr Glück zu finden. Gelingt ihr das? Oder sind Nadine, Tamara und Ronny, die in Kosakenberg geblieben sind, die Glücklicheren? Hier spricht die Autorin über ihren neuen Roman, die ungewöhnliche Heldin, Herkunft, Verlust(e) und Eier.
Kosakenberg
Empfehlung
Hardcover
22,00 €

»Kosakenberg« hat Dich sehr lange begleitet. Was war der Ausgangspunkt für Deine Arbeit an dem Roman?

Die ersten Skizzen habe ich 2017 angefangen, als meine Tochter gerade geboren war und ich darüber nachdachte, wie anders sie wohl aufwachsen würde als ich. Kurz zuvor hatte ich Didier Eribon gelesen, »Rückkehr nach Reims«, ein Wahnsinnsbuch, und das brachte ganz viele Erinnerungen hoch. Ich bin in einem kleinen Dorf in Brandenburg aufgewachsen und in den 1990er Jahren weggegangen. Ich habe lange gebraucht, ehe ich begriffen hatte, dass das keine individuelle Entscheidung war. Knapp vier Millionen Menschen sind zwischen 1991 und 2017 aus dem Osten in den Westen gegangen, eine unglaublich hohe Zahl, fast ein Viertel der Bevölkerung der DDR. Die meisten, die gingen, waren junge Frauen. Dieser Weggang war eine Zäsur, für alle, auch für die Dagebliebenen. Die Folgen sind bis heute sicht- und spürbar. Und man weiß wenig über diejenigen, die gegangen sind. Was hat das Verlassen der Heimat mit ihnen gemacht?

Dieser Frage, das merkte ich mit der Zeit, konnte ich mich nur literarisch nähern. Die ersten Skizzen handelten von den Eiern, die mir meine Oma und später meine Mutter mitgaben, wenn ich nach einem Heimatbesuch zurück in die Großstadt fuhr. In den Eiern schien eine größere Bedeutung zu stecken, sie schienen mir ein Symbol zu sein, eine Brücke zwischen denen, die gegangen sind und denen, die geblieben sind, ein Symbol für die Zerbrechlichkeit der Beziehungen auch. Man könnte sagen: Am Anfang war das Ei.

Ich habe dann viel herumexperimentiert, bis ich eine Form und Erzählhaltung gefunden habe. Meine Ich-Erzählerin lebt in London und die Leser:innen sind bei zehn ihrer Heimfahrten nach Kosakenberg dabei. Diese Fahrten beschreiben die ständige Bewegung zwischen Nähe und Distanz, Ablehnung und Sehnsucht. Die Erzählform spiegelt in gewisser Weise auch den punktuellen, eben nicht nicht-kontinuierlichen, Blick auf Ostdeutschland.

Porträtfoto Sabine Rennefanz
Autor:in

Sabine Rennefanz, 1974 in Beeskow geboren, arbeitet als Journalistin u. a. für Der Spiegel, Tagesspiegel und Radio 1.

Deine Hauptfigur, Kathleen, ist eine ungewöhnliche Heldin. Sie hat Ecken und Kanten, einen schrägen Humor, sie blickt auf sich selbst und andere mit einer Ehrlichkeit, die manchmal ein bisschen wehtut. Was sie wiederum auch liebenswert macht, denn man begreift als Leser:in schnell, sie kann gar nicht anders. Weil sie den Dingen immer auf den Grund gehen will. Wie findet man als Autorin so eine Protagonistin?

Für mich gibt es eigentlich drei Hauptfiguren: Kathleen, Nadine (ihre Freundin), Elke (ihre Mutter). Aber klar, Kathleen ist die Erzählerin, durch deren Blickwinkel die Welt im Buch gespiegelt wird, alles, was wir erfahren, ist durch sie vermittelt. Sie hat in ihrem Leben eine lange Strecke zurückgelegt, hat als Erste in der Familie ein Studium abgeschlossen, ist ins Ausland gegangen, sie ist weitgekommen, aber sie leidet darunter, dass sie einen Job hat, den in Kosakenberg keiner versteht. Sie trägt einen ziemlichen Rucksack mit sich herum, wie man so sagt, - und verdrängt den Schmerz, oft mit einem bissigen, auch melancholischen Humor.
Die erste Figur, die ich fand, war allerdings eine andere. Eine junge Frau, die im Dorf geblieben ist, eine Frau, die sich in der Männergesellschaft behauptet, die diese ganzen Umbrüche im Osten mitgemacht hat. Sie stampfte eines Tages einfach aufs Papier: Nadine, die rätselhafte Eierhändlerin. Sie war die Erste. Kathleen kam später dazu. Auch sie ist plötzlich aufgetaucht, ohne dass ich sagen könnte, was genau ihr Auftauchen inspiriert hat, es ist wohl eine Mischung aus allem: Leben, Nachdenken, Lektüre, Zufall.

 

»Kosakenberg« ist auch ein Buch über Verluste. Der Heimat, der Mutter, des Elternhauses … Was findet Kathleen?

Ich will das gar nicht so konkret beschreiben, ein bisschen Spannung soll beim Lesen ja noch bleiben. Es geht um Verluste, ja, aber um eine bestimmte Art von Verlusten, nämlich die Verluste, die unwiederbringlich sind und deren Tragweite man erst hinterher versteht: Wenn man zum Beispiel das Elternhaus verliert oder eben die Mutter. Das Besondere an Kathleen ist aber, dass sie trotz aller Enttäuschungen immer wieder Verbindungen dahin sucht, wo auch die Verluste am größten sind: nach Kosakenberg. Selbst, wenn sie sich über die Kosakenberger:innen ärgert und umgekehrt. Sie lernt im Laufe der Zeit, eine eigene Freiheit zu finden. Das ist mit Sicherheit etwas, was sie auf ihrem Weg findet.

 

Am Ende des Buchs wissen wir viel über Kathleens Geschichte und über die der Menschen aus dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Dennoch bleiben einige Fragen offen. Warum? Und wird die Geschichte vielleicht irgendwann weitererzählt?

Es bleiben Fragen offen – aber das heißt, es bleiben auch Möglichkeiten offen. Ob die Geschichte von Kathleen irgendwann weitererzählt wird? Alle meine Bücher handeln in irgendeiner Weise von einem engen, aber komplizierten Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern. Ich habe das Gefühl, dass da noch reichlich Stoff drinsteckt.

Weiterer Titel von Sabine Rennefanz

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