08. Juli 2024

»Von ihnen geht etwas Magisches, Kraftvolles aus«

Die amerikanische Autorin Rita Bullwinkel über ihren Roman »Schlaglicht« (übersetzt von Christiane Neudecker), den kraftvollen Körper junger Boxerinnen und den tiefen Wunsch, gesehen zu werden.

Liebe Rita, in Deinem Roman geht es um acht Teenagerinnen, die in Reno, Nevada, mitten in der amerikanischen Provinz, bei einem Boxkampf gegeneinander antreten. Wovon träumen diese Mädchen?

Schlaglicht
Empfehlung
Hardcover
24,00 €

Jedes der acht Mädchen hat den tiefen Wunsch, gesehen zu werden und als eine Person verstanden zu werden, die eine gewisse Macht hat. In ihren kühnsten Träumen wird das Turnier nicht Ruhm, sondern Anerkennung bringen. Die Mädchen wollen, dass ihre Körper und ihr Wesen von ihren Gegnerinnen bezeugt werden. In ihrem Leben außerhalb des Boxrings gibt es nur wenige Menschen, die sie ansehen oder die ihre Wünsche oder ihr Leben ernst nehmen. Aber im Boxring hat ihre Gegnerin keine andere Wahl, als sie ernst zu nehmen. Aufgrund der Struktur und der engen Begrenzung des Kampfes ist dein Gegner gezwungen, dich anzusehen und mit deiner Schlagkraft zu rechnen. Die Mädchen suchen dieses Erleben. Das ist auch der Grund, warum sie an einem Turnier teilnehmen, das keine oder nur sehr geringe gesellschaftliche Anerkennung für sie bereithält.

 

Du porträtierst die acht Mädchen in ihrer Schönheit und Stärke und  auch ihrer Verletzlichkeit. Warum wolltest Du weibliche Figuren in diesem sehr körperlichen Sport zeigen?

Der weibliche Körper ist vielleicht eines der am stärksten aufgeladenen Bilder überhaupt. In der Kunst und in der Fotografie gibt es kein Bild, das häufiger vorkommt und häufiger problematisch ist. Die Darstellung des weiblichen Körpers als erotisches Objekt ist so allgegenwärtig, dass es selbst bei Autorinnenfotos eine Herausforderung ist, eine Bildsprache zu finden, ohne in uralte Fallen zu tappen. Ich habe mich dafür interessiert, diese jungen Frauen zu zeigen und meine Leser:innen dazu zu bringen, ihre jungen, kraftvollen Körper zu betrachten und diese als etwas anderes wahrzunehmen, als etwas Magisches, Kraftvolles, das das Potenzial hat, Ehrfurcht zu erregen.

 

Hast Du eine Lieblingsfigur im Roman?

Schwer zu sagen! Es gibt acht Figuren in diesem Buch, daher ist es ein bisschen so, als würde man ein Lieblingskind auswählen. Es gibt eine Figur, Rachel Doricko, die gern schräge und etwas seltsame Mode trägt, und die ich ziemlich charismatisch finde, aber es gibt auch andere, eher konformistische Figuren, wie Artemis Victor, die unruhig und leicht reizbar ist und bei jedem Kampf Make-up trägt, für die ich ebenfalls Sympathie empfinde, weil sie auf derselben Suche nach sich selbst ist wie die anderen Mädchen. Ich mag sie alle.

 

Wir bekommen auch einen Einblick in das Leben der Figuren Jahre später. Wie kam es zu diesem erzählerischen  Kniff, in den Lebensgeschichten vorzuspulen?

In einer Geschichte von Primo Levi kann man in einem Absatz Tausende von Jahren reisen, von der Geburt eines Sterns bis zum Ende einer Ehe. Kein anderes Medium kann die emotionale Resonanz des Vergehens von Zeit so gut einfangen wie die Literatur. Deshalb wollte ich, wie ein Kind, das sich zum schärfsten und glänzendsten Messer hingezogen fühlt, das Vergehen von Zeit in Form von Momenten des schnellen Vorspulens in den Mittelpunkt des Buches stellen. Das Vorspulen und die Passagen zum Hintergrund, in denen man erfährt, wie die Mädchen geboren wurden und wie jedes von ihnen sterben wird, waren wie die Struktur des Boxkampfs einer der Ausgangspunkte beim Schreiben des Romans.

 

Neben welchen anderen Büchern könnte „Schlaglicht“ gut in Buchhandlungen liegen?

Ich würde mich unbändig freuen, wenn der Roman in der Nähe von »Bahnen ziehen« von Leanne Shapton liegen würde, von »Boxenstart« von Kathryn Scanlan, »McGlue« von Ottessa Moshfegh oder »Wo Milch und Honig fließen« von C Pam Zhang.

Tausend Dank!

Das Gespräch führte Friederike Schilbach

Urheber:innen

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