10. Apr. 2024

»Sie wusste, es war kein Spiel, das Risiko war real«

Autorin Buzzy Jackson im Geistesblüten-Interview über »Wir waren nur Mädchen«, übersetzt von Christine Strüh, und die niederländische Widerstandskämpferin Hannie Schaft, das »Mädchen mit den roten Haaren«.
Wir waren nur Mädchen
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Hannie Schaft ist 19, als die Wehrmacht im Mai 1940 in die Niederlande einmarschiert. 1943 schließt sich die Amsterdamer Jurastudentin der Haarlemer Widerstandsgruppe an. Als eine von drei Frauen lockt sie Nazi-Kollaborateure zu Spaziergängen in den Wald, wo Widerstandskämpfer auf sie warten. Bald ist »das Mädchen mit den roten Haaren« die meistgesuchte Frau Hollands. Jetzt erscheint Buzzy Jacksons Roman »Wir waren nur Mädchen« über eine mutige junge Niederländerin im Widerstand.

Wer diese Hannie Schaft war und wie die Amerikanerin Buzzy Jackson auf sie aufmerksam wurde, erfahren Sie im Geistesblüten-Magazin No. 22. Hier ein Auszug aus dem Interview:

 

Die Niederländerin Hannie Schaft war tapfer und mutig. Sie wollte gegen das NS-Regime aktiv Widerstand leisten, auch wenn es für sie gefährlich werden konnte. Nur wenige Wochen nach Adolf Hitlers Einmarschbefehl in Polen schickte die 19jährige Hannie Pakete an polnische Kriegsgefangene. Jüdischen Kommilitonen, die ab 1942 den Gelben Stern sichtbar tragen sollten, besorgte sie gefälschte Pässe. Sie beteiligte sich an Anschlägen von Mitgliedern der Kommunistischen Partei. Wie haben Sie von Jannetje Johanna Schaft erfahren?

Porträtfoto Buzzy Jackson
Autor:in

Buzzy Jackson ist preisgekrönte Autorin dreier Sachbücher und hat an der University of California, Berkeley, in Geschichte promoviert.

Im Winter 2016 erzählte mir ein Freund von ihr. Vorher hatte ich noch nie von Hannie Schaft gehört. Im Niederländischen Widerstandsmuseum in Amsterdam (Verzetsmuseum) hängt ein Foto von Hannie und ihrer Freundin Truus. Beide sind verkleidet, tragen falschen Brillen und halten eine 9-mm-Pistole. Dass ihren Namen außerhalb der Niederlande nur wenige kennen, konnte ich kaum fassen. Das wollte ich ändern; mit der heldenhaften Geschichte, die sie verdient. Viele Leser:innen können selbst kaum glauben, dass sie von Hannie vorher nie gehört haben und schreiben mir. Ich bin Historikerin und es fühlt sich wunderbar an, dass in meinem Buch Geschichte lebendig wird und ich sie in die Herzen und Köpfe der Gegenwart bringen darf. Für diese Chance bin ich dankbar.

Die Hannie im Roman ist eine Femme fatale, die sich anfangs ihrer Ausstrahlung gar nicht bewusst ist. Nach und nach setzt sie ihre verführerische Wirkung zur Spionage und als tödliche Waffe ein. War sie wirklich so?

Als die Niederlande 1940 von Nazi-Deutschland überfallen und besetzt wurden, begann Hannie gerade ihr Jurastudium. An der Universität hatte sie den Ruf, schüchtern, sehr klug und ruhig zu sein, was sich jedoch im Laufe des Krieges änderte. Wie die meisten niederländischen Studenten weigerte sich Hannie, den geforderten Treueeid auf die Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) abzulegen, also wurde sie 1943 exmatrikuliert. Der Rauswurf radikalisierte sie. Sie verstand, dass ihre jüdischen Freunde in Gefahr waren und sie ihr eigenes Leben umkrempeln musste. Ich glaube, dass war der Zeitpunkt, als sie merkte, ihr Witz, Charme und gutes Aussehen könnten der niederländischen Widerstandsbewegung nutzen. Also schloss sie sich ihr mit Begeisterung an. Damals war sie erst 22 Jahre alt.

An Hannies Erfahrungen sehen wir, wie fließend sich die Identität junger Menschen formt, vor allem in der Konfrontation mit Krieg und dem kriegsbedingten Chaos. Natürlich hätte sie sich als junger Mensch auch ohne diese Extremerfahrung weiterentwickelt, aber der Terror zwang sie dazu, sich auf eine Art und Weise auszudrücken, die sie sich vorher selbst nie hätte vorstellen können. Auf einmal fand sie sich in Situationen wieder, die ihr eine hohe Opferbereitschaft abverlangten, bei denen es buchstäblich um Leben und Tod ging. Die setzen eine Nuance ihrer Persönlichkeit in einer Intensität frei, wie es im ›normalen‹ Leben vielleicht nicht der Fall gewesen wäre. Sie wusste, es war kein Spiel, das Risiko war real. Deshalb musste sie ihrer neuen Persönlichkeit alles geben, was sie hatte und sich vollkommen darauf einlassen. Das tat sie auf absolut unglaubliche Weise.

 

Durch ihr schönes rotes Haar fiel sie den Männern ohnehin auf, blieb dadurch aber auch vielen lange in Erinnerung. Merkwürdig, dass sie nie aus ihrem Viertel wegzog; wie hätte sie sich besser tarnen können?

Adolf Hitler war derjenige, der sie als »das Mädchen mit den roten Haaren« bezeichnete und sie ganz oben auf die Fahndungsliste setzte. Ihre Verhaftung war einem dummen Zufall geschuldet und hatte nichts mit ihrem Aussehen zu tun. Keiner im Gefängnis erkannte sie, bis immer mehr schwarze Farbe aus ihrem Haar verschwand. Es gab nur schlechtes Haarfärbemittel und schon gar keine Kleiderauswahl. Aber trotz der äußerst begrenzten Mittel hielt sie sich erstaunlich gut im Verborgenen. Sogar als sie gefangen genommen und gefoltert wurde, gab sie ihre eigentliche Identität nicht preis.

Das Interview führte Christian Dunker für Nr. 22 © Geistesblüten.

Covergestaltung von Olaf Hajek.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

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