15. Nov. 2021

Michael Töteberg über seinen Roman »Falladas letzte Liebe«

Interview mit Michael Töteberg – sein Roman über Hans Falladas letzte Jahre in Berlin erzählt eine herzzerreißende Geschichte über die menschlichen Abgründe und eine Liebe, die dagegen ankämpft.

Herr Töteberg, dieser Tage erscheint Ihr Roman „Falladas letzte Liebe“. Darin schildern Sie die Jahre 1945 bis 1947, die der morphiumsüchtige Schriftsteller im Berlin der Nachkriegszeit verbringt. Wie viel Realität steckt in Ihrem Buch, wie viel ist erdichtet?

Es ist weniger erdichtet, als man vielleicht denkt – es handelt sich um eine dokumentarische Erzählung. Da wird manches zu lesen sein, was unser liebgewordenes Fallada-Bild korrigiert, und ich kann Ihnen versichern: Alles in diesem Buch ist belegt, stammt aus größtenteils unbekannten Dokumenten. Es musste nicht viel hinzuerfunden werden, die Realität ist spannend genug. Aber es gilt, was Hans Fallada zu seinem stark autobiographischen Roman „Der Alpdruck“ im Vorwort schreibt: „Alles hier Erzählte konnte so geschehen und ist doch ein Roman, also ein Gebilde der Phantasie.“

Was ist so spannend an dieser letzten Phase im Leben Hans Falladas?

Fallada ist ein zerrissener Mensch. Die Carwitzer Idylle ist zerbrochen, die Ehe mit Suse gescheitert – er flüchtet mit seiner jungen zweiten Frau nach Berlin. Doch ihre Wohnung ist besetzt und kaum noch bewohnbar, sie hungern und frieren. Was sie noch besitzen, wandert auf dem Schwarzmarkt in die Taschen von Schiebern. So ging es nicht nur ihnen. Falladas Stunde null bedeutet auch: Der Schriftsteller ist am Ende, nichts ist mehr da von dem alten Ruhm. Er muss neu anfangen, wird denunziert, muss um seine Existenz als Autor fürchten. Der Krieg war vorbei, aber es herrschte kein Frieden. Berlin war in vier Zonen aufgeteilt, die Besatzungsmächte belauerten sich, und die Geheimdienste agierten im Hintergrund. Sie interessierten sich, wie man heute weiß, auch für Fallada.

Michael Töteberg

Hans Fallada (1893–1947)

Sie erzählen die Geschichte in der dritten Person, nehmen aber konsequent Falladas Perspektive ein. Dadurch kommt man ihm auf eine Weise nahe, wie es sogar mit der detailgenausten Biographie nicht gelingen kann. Was haben Sie selbst dadurch Neues über den Autor und Menschen Hans Fallada erfahren?

Es geht um nicht weniger als das Überleben in schwieriger Zeit. Ein Mann muss in den Wirren der Nachkriegszeit den Alltag bewältigen, Frau und Kinder versorgen. Mitten in dem Pankower „Städtchen“, einem abgeschlossenen, für russische Offiziere und die politische Nomenklatura reservierten Bezirk, versucht er, für seine kleine Familie ein Heim zu schaffen. Nicht zuletzt erzählt der Roman eine große Liebesgeschichte. Falladas Briefe an seine junge Frau werden hier erstmals veröffentlicht – wie will man einem Menschen näher kommen als in solchen privaten, intimen Bekenntnissen?

Zwei Figuren spielen in dem Roman eine wesentliche Rolle – Christa Wolf, die als junge Studentin in ihrer Leipziger Wohnung an der Schreibmaschine sitzt und an den anderen schreibt: Johannes R. Becher.

Christa Wolf hat sich das Thema ihrer Diplomarbeit nicht ausgesucht. Ihr Professor Hans Mayer meinte, die 24-Jährige sollte sich nicht nur mit dem üblichen Kanon sozialistischer Literatur beschäftigen, sondern den Darsteller der kleinbürgerlichen Misere und außerordentlichen Erzähler Fallada studieren. Sie hat dann alles von Fallada gelesen, wollte aber mehr über den Schriftsteller wissen. Prof. Mayer riet ihr, Becher anzuschreiben, doch der speiste sie mit einer ausweichenden Antwort ab.

Der Dichter Becher und spätere Kulturminister der DDR stand Fallada in seinen letzten Lebensjahren so nahe wie kein anderer. Warum wollte er keine Auskunft geben?

Darüber kann man nur spekulieren. In gewisser Weise ist das Buch die Antwort, die Becher in der damaligen Zeit nicht geben wollte, wohl auch nicht konnte. Sicher ist: Becher hat Fallada das Überleben gesichert. Im wörtlichen Sinne: Indem er ihm die Wohnung, Lebensmittelkarten, Aufträge verschaffte, kurz: wie ein Vater für ihn sorgte. Becher glaubte an Fallada – ausgerechnet von ihm, der kein klassischer Antifaschist war, wünschte er sich einen Roman über den deutschen Widerstand. Obwohl Fallada ihn oft enttäuschte, Honorare kassierte und nicht lieferte, hielt Becher an ihm fest. Und sollte letztendlich recht behalten: „Jeder stirbt für sich allein“, in diesen letzten Jahren unter widrigen Umständen in Rekordtempo entstanden, wurde der gültige Roman, der über das Leben der Menschen in der Diktatur erzählt. Dass dieser Roman gedruckt wurde, obwohl er nicht in das offizielle Geschichtsbild der DDR passte, ist ebenfalls Becher zu verdanken. Auch im übertragenen Sinne hat er Fallada das Überleben gesichert.

Falladas letzte Liebe
Empfehlung
Hardcover
22,00 €

Michael Töteberg, geboren 1951, hat den Roman „Falladas letzte Liebe“ geschrieben, weil der DEFA-Film „Fallada – Letztes Kapitel“ (1988) zwar großartig gespielt und raffiniert erzählt ist, in vielen Details aber, wie man heute weiß, nicht stimmt. Töteberg, lange Jahre Leiter der Agentur für Medienrechte im Rowohlt Verlag und verantwortlich für Literaturverfilmungen wie „Babylon Berlin“ und „Tschick“, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Schriftsteller und ist seit 2019 zudem Vorsitzender der Hans-Fallada-Gesellschaft. Er ist Autor diverser Beiträge und Herausgeber zahlreicher Werke, darunter „Hans Fallada: Ewig auf der Rutschbahn. Briefwechsel mit dem Rowohlt Verlag“.

Auch im Gespräch