Eine skurrile Reise und ein Todesfall
Der Erzähler in Ihrem Roman begibt sich auf eine traumähnliche Reise, die ihn nach vielen Jahren in den USA zurück in sein Heimatland in Afrika führt. Er weiß nicht genau, was eigentlich der Anlass dieser Reise ist, die Umstände sind seltsam vage und sehr komisch erzählt. Wie sind Sie an die Struktur des Buches herangegangen?
Die Erzählstruktur basiert sehr lose auf einer Reise, die ich 2016 mit meinem Vater von Addis Abeba in eine sehr kleine Stadt namens Stayish unternahm, um an der Beerdigung meines Onkels teilzunehmen. Die Reise war lang und beschwerlich, und wir wurden von verschiedenen Familienmitgliedern begleitet, von denen wir die meisten seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten und die sich alle weigerten anzuerkennen, dass mein Onkel tot war. Sie sagten uns nur, er sei krank, und zwar sehr krank, und dass wir ihn unbedingt sehen müssten. Ihr Verhalten entsprach den traditionellen Trauerritualen: In Äthiopien erfährt man von einem Todesfall in der Familie erst dann, wenn alle Freunde und Verwandten zusammenkommen und es einem gemeinsam sagen können. So schwelgten wir auf der Reise in einer kollektiven Fantasie – der Fantasie, dass mein Onkel noch lebte – bis zu dem Moment, als wir bei seiner Beerdigung ankamen.
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Wie haben Sie die Stimme für die Hauptfigur gefunden?
Ich schreibe schon seit Jahren in seiner Stimme, und sie ist durch viele verschiedene Dinge beeinflusst und hat sich weiterentwickelt: Texte von meinem Vater, alte Tagebücher, Anregungen von Freunden, Kommentare meiner Lektorin.
Wie sind Sie auf den Titel »Galgenmann« gekommen? Haben Sie an das Spiel gedacht, bei dem ein Körper Gestalt annimmt, wenn die Spieler ein gesuchtes Wort nicht erraten?
Ich hatte erst einen anderen Titel für den Roman. Aber als ich mit dem Schreiben fertig war, merkte ich, dass er nicht mehr zum Buch passte. Ich weiß nicht mehr, wie mir das Wort »Galgenmann« in den Sinn kam, aber als es einmal da war, fand ich immer wieder neue Begriffe, um das zu beschreiben, was ich gerade geschrieben hatte und was mir immer noch rätselhaft war. Und so wurde »Galgenmann« zu einer Art Zauber- oder Codewort. Es erinnert an das Spiel, bei dem die Körper abstrakt sind, bis sie auf eine Sprache treffen, die sie beschwört. Aber es erinnert auch an die Figur des Henkers – die immer auch an ihren Zwilling, den Hingerichteten, und an das bevorstehende Urteil, das zwischen ihnen besteht, denken lässt. Ich fühlte mich von dieser doppelten Bedeutung angezogen, die mir als geeignete Linse erschien, den Erzähler zu betrachten, der in vielerlei Hinsicht gegen sich selbst gespalten ist und immer wieder Menschen begegnet, die mit Urteilen leben, die gegen sie gefällt werden, sei es geistig, finanziell oder auch politisch.
Eines der Themen des Romans ist, wie man als Immigrant im Exil lebt, wie insbesondere Schwarze in den USA leben und unter welchen Bedingungen. Würden Sie »Galgenmann« als politischen Roman bezeichnen?
Ich denke, alle Romane sind politisch, unabhängig davon, ob sie Politik zum Thema haben oder nicht. Viele der Figuren, die in meinem Roman auftauchen, erfinden einen Überlebensmodus innerhalb und trotz der Umstände, die darauf ausgerichtet sind, sie zu isolieren, das, was für sie Bedeutung hat, zu entwerten und ihr Leben unbewohnbar zu machen. Der Erzähler glaubt, dass das politische Leben etwas ist, das in seiner Vergangenheit liegt; er zieht es vor, Politik als eine Reihe unpersönlicher Abstraktionen zu betrachten, die als Futter für Gespräche oder sogar zur Unterhaltung dienen. Aber der Roman macht deutlich, wie sehr sein Leben von diesen Abstraktionen bestimmt wird, ob er nun dagegen aufbegehrt oder nicht.
Haben Sie einen Lieblingssatz?
Ich bin den Sätzen im Buch zu oft begegnet, um einen einzigen auszuwählen; meine Lieblingssätze sind die, die gestrichen wurden. In früheren Fassungen des Romans sagte der Erzähler oft »Oh Bruder« und dieser Satz hat mich immer zum Lachen gebracht.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten, neben welchen anderen Büchern sollte »Galgenmann« im Buchladen liegen?
Gute Frage! Ich antworte mal ganz ambitioniert: Am allerliebsten zwischen »Zeit der Nordwanderung« von Tayeb Salih, »Die Taugenichtse« von Sam Selvon und »Mein Bruder« von Jamaica Kincaid.
Tausend Dank!
Die Fragen stellte Friederike Schilbach