25. Juli 2022

»Der Fall Auerbach« Michael Brenner über Hans-Hermann Klares Biographie des prominentesten Juden nach dem Krieg

Der »Fall Auerbach« war eine der dramatischsten Justizaffären der 1950er Jahre. Kaum ein anderer äußerte nach 1945 so unverblümt und lautstark Kritik an den Nationalsozialist:innen wie der Auschwitz-Überlebende Philipp Auerbach. Der Fall wurde jedoch kaum aufgearbeitet, sodass erst jetzt die erste umfassende Biographie Auerbachs vorliegt. Einen Auszug aus dem Nachwort von Michael Brenner zum Buch »Auerbach« von Hans-Hermann Klare können Sie hier nachlesen.

»Man stelle sich einmal vor, ein sehr ambitionierter Filmautor möchte ein sensationsheischendes Drehbuch über die unmittelbaren Nachkriegsjahre schreiben. Er denkt lange nach, welche Figur sich wohl am besten als Protagonist dafür eignen würde. Natürlich ein Jude! Noch besser ein Auschwitz-Überlebender! Und – da dies auch noch nicht ausreicht – nicht irgendeiner, sondern doch gleich der bekannteste Jude in Deutschland! Und um so richtig zu provozieren, vertauscht der Drehbuchautor die Rollen: Der Jude soll kein Opfer sein, sondern ein Täter, dem der Prozess gemacht wird. Zu Gericht über ihn sitzen lauter ehemalige Nazis. Doch das ist dem Autor noch immer nicht genug. Der Protagonist wird am Ende verurteilt
und nimmt sich am Tag der Urteilsverkündung das Leben. Man stelle sich nun noch vor, der Drehbuchautor suche für seine Story einen Produzenten. Die Reaktion der infrage kommenden Produzenten auf so einen Plot, so sollte man meinen, kann doch nur einhellig lauten: Aber bitte schön, mein Herr, diese Geschichte glaubt Ihnen doch keiner!
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So beginnt Michael Brenner, Prof. für jüdische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sein Nachwort zum Buch »Auerbach« von Hans-Hermann Klare. In dessen Fokus steht ein Mann, der berühmteste Jude Deutschlands in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg – aber auch eine Gesellschaft, in der im Hinblick auf Antisemitismus keineswegs eine »Stunde Null« geschlagen hatte. Brenner fährt fort:

»Der Drehbuchautor ist erfunden, aber der so unglaublich klingende Plot keineswegs. Noch erstaunlicher ist, dass diese Geschichte nahezu völlig in Vergessenheit geraten ist. Dabei war Philipp Auerbach der bekannteste Vertreter der jüdischen Gemeinschaft im Nachkriegsdeutschland. Sein Name war Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre regelmäßig im Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, und der oben geschilderte »Fall Auerbach« gehörte zu den schillerndsten Justizaffären der frühen Bundesrepublik. Man mag es kaum glauben, dass diese tragische Geschichte bis heute nur sehr spärlich aufgearbeitet wurde und eine vollständige Biographie von Philipp Auerbach erst mit diesem Buch vorliegt.

 

 

Dabei ist Hans-Hermann Klare keineswegs wie jener erfundene Drehbuchautor von Sensationslust getrieben worden. Vielmehr erzählt er das Leben und Sterben des Philipp Auerbach in nüchternem Ton und als Ergebnis einer jahrelangen sorgfältigen Recherche, die ihn in zahlreiche Archive und zu vielfältigen Zeitzeugen geführt hat.

Den Namen Philipp Auerbach hörte ich erstmals als Jugendlicher im Umkreis meines Vaters, der mehrere Jahrzehnte lang dem Präsidium des von Auerbach gegründeten Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern angehörte. Auerbach galt dort als eine tragische Figur, die auf unbürokratischem Wege den Holocaust-Opfern helfen wollte, ohne dabei immer die korrekten deutschen Behördenwege zu gehen (...) Doch nicht alle waren gut auf ihn zu sprechen. Seine diktatorischen Neigungen und sein autokratischer Führungsstil waren legendär. Für die einen war er der »Robin Hood«, der sich für die Opfer einsetzte, für die anderen stand er für Korruption und Machtgier. So einte und spaltete er die deutsch-jüdische Gemeinschaft.

 

Direkten Zugang zur Person Auerbachs erhielt ich viele Jahre später durch von mir betreute Forschungsprojekte zu seiner Person und Zeit. Er war zweifellos der bekannteste und wohl auch der am meisten gehasste deutsche Jude in den Jahren nach 1945. Seine unverblümte Kritik an ehemaligen Nazis und sein lautstarkes Auftreten gegen jederlei Wiederaufleben des Antisemitismus brachten ihm nicht nur Freunde ein. Für viele Menschen, die möglichst ungestört von der unmittelbaren Vergangenheit ein neues Deutschland aufbauen und nicht an die NS‑Verbrechen erinnert werden wollten, war er ein unbequemer Mahner. Das später in Umlauf gekommene Bonmot, die Deutschen können den Juden Auschwitz nicht verzeihen, könnte auch über seiner Nachkriegsbiographie stehen. (…) Dieses Buch verdeutlicht die zahlreichen Kontinuitäten vor und nach 1945. Wer es gelesen hat, wird schnell realisieren, dass es die berühmte »Stunde Null« so nicht gegeben hat. Alte Eliten wurden schnell zu neuen Eliten, altes Denken zu neuem«.

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