11. Okt. 2021

Berlin 1936: Drei Frauen schreiben Geschichte

Im Interview erzählt Elise Hooper, wie sie auf die Idee gekommen ist, einen Roman über drei Athletinnen der US-amerikanischen Olympia-Mannschaft im Jahr 1936 zu schreiben, und gibt spannende Einblicke in die wahre Hintergrundgeschichte.
Elise Hooper

Wie sind Sie auf die Geschichte von Betty Robinson, Helen Stephens und Louise Stokes gestoßen, die alle drei 1936 zu den Olympischen Spielen nach Berlin reisten?

In der vierten Klasse wählte meine Tochter, die eine begeisterte Schwimmerin ist, Gertrude Ederle als Thema für eine Hausarbeit. Ederle wuchs Anfang des letzten Jahrhunderts in Manhattan auf, gewann 1924 einige olympische Medaillen und durchschwamm als erste Frau den Ärmelkanal. Ihre Geschichte weckte meine Neugier auf die Lebensläufe weiterer Pionierinnen des Sports. So stieß ich auf Betty, Helen und Louise – und spürte sofort, dass ich mit ihnen das Thema meines neuen Romans gefunden hatte. Als ich anfing, den Leuten zu erzählen, ich würde ein Buch über olympische Athletinnen im Jahr 1936 schreiben, sahen mich die meisten nur entgeistert an. „Ich wusste gar nicht, dass damals überhaupt schon Frauen dabei waren“, sagten einige Freundinnen. Genau solche Aussagen bestätigten mir, dass meine Idee gut war. Ich stürzte mich in die Recherche und war fasziniert von den drei jungen Frauen, die trotz aller Vorbehalte mit dem Olympischen Team nach Berlin reisten, um ihren Platz in der 4x100 Meter Staffel kämpften und die Welt des Sports für immer veränderten. Allerdings waren die historischen Belege ziemlich lückenhaft, weil die Leistungen der damaligen Sportlerinnen nicht besonders ernst genommen und somit auch kaum dokumentiert worden sind.

Was haben Sie an der realen Geschichte dieser Frauen geändert?

Ich habe mich an die biographischen Eckdaten im Leben der drei Frauen gehalten und um sie herum Szenen, Dialoge und Gedanken der Figuren erfunden. Menschen dieser Generation, vor allem diese Frauen, haben nicht viel über Gefühle gesprochen, also musste ich mir ausdenken, was sie bei ihren Siegen und Niederlagen wohl empfunden haben mochten.

Am schwierigsten war die Überlegung, wie das Staffelteam bei den Olympischen Spielen 1932 zusammengestellt worden war. Im Brown Palace Hotel wurde die Schwarze Louise aufgefordert den Dienstboteneingang zu nutzen und dem Speisesaal fernzubleiben. Außerdem wurde ihr, anders als den anderen Olympiateilnehmerinnen, ein Zimmer im Personaltrakt zugewiesen. Das ist in mehreren Quellen belegt. Das schien mir ein Hinweis, dass Rassismus bei der Auswahl eine große Rolle gespielt hatte. Der Nationale Verband zur Förderung der Schwarzen schickte ein Telegramm an das Trainerteam der Leichtathletinnen und setzte sich dafür ein, dass alle Läuferinnen, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hatten, auch an einem Wettkampf teilnahmen, was meinen Verdacht bestätigte. Das Olympische Komitee muss politischen, rassistischen und sexistischen Einflüssen unterworfen gewesen sein.

Es ist bekannt, dass zu einem Boykott der Olympischen Spiele in Berlin aufgerufen wurde, aber im Gegensatz zu Jesse Owens hat keine der Frauen ihre Meinung dazu geäußert, also musste ich mir selbst ausmalen, welche Gedanken und Gefühle die Sportlerinnen bei der Vorstellung, nicht anzutreten, wohl bewegt haben mochten. Die Zitate aus den Boykott-Briefen in diesem Roman sind den Originalen entnommen, die Helen 1936 bei ihrem Besuch mitgenommen hatte.

Soweit ich weiß, hatte Ruth Haslie, die Betty und Helen während ihres Aufenthaltes in Berlin begleitete und ihnen als Übersetzerin zur Seite stand, keine jüdischen Vorfahren, aber ich wollte die amerikanischen Athletinnen mit dem Thema Judenverfolgung in Nazideutschland konfrontieren. Die Beschreibung von Helens Begegnung mit Hitler beruht auf dem realen Ereignis, das Helen in ihrem olympischen Tagebuch festgehalten und so auch ihrem Biographen geschildert hat.

Drei wahre Heldinnen der Geschichte

Als ältestes von sechs Kindern lernt Luise Stokes früh, Verantwortung zu übernehmen. Nur beim Laufen hat sie das Gefühl, völlig frei zu sein und die Vorurteile, mit denen sie aufgrund ihrer Hautfarbe täglich konfrontiert wird, hinter sich zu lassen. Trotz aller Widerstände riskiert sie alles, um als Schwarze Frau bei den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen.

Als eine der ersten Frauen bei den Olympischen Spielen kämpft Betty Robinson 1928 in Amsterdam um den Sieg im 100-Meter-Lauf, bricht mit gerade einmal 16 Jahren den Weltrekord und kehrt als Golden Girl nach Amerika zurück. Dann wird sie bei einem Flugzeugabsturz lebensgefährlich verletzt, und ihr Traum vom Laufen scheint in weite Ferne zu rücken. Doch sie gibt nicht auf und tritt 1936 in Berlin erneut bei den Olympischen Spielen an.

Helen Stephens wächst auf einer Farm in Missouri auf. Von ihren Mitschülern gehänselt, wünscht sie sich nichts sehnlicher, als Anerkennung zu finden. Schon als Kind liebt sie es zu rennen, und so träumt sie davon, eines Tages die schnellste Frau der Welt zu sein. Als ihr Sportlehrer, Coach Burton Moore, ihr Talent entdeckt, trainiert er sie für den Leichtathletikwettbewerb. Und 1936 reist sie zu den Olympischen Spielen nach Berlin.

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