Neue Holzschnitte für »Die Pfingstrosenlaterne« von Sanyutei Encho
Ich habe es wieder getan. »Die Pfingstrosenlaterne« ist nach Lafcadio Hearns »Japans Geister« (als Extradruck von Band 372 erhältlich) das zweite »japanische« Buch, das ich für die Andere Bibliothek bebildern durfte.
Für mich war es erneut eine aufregende imaginäre Wanderung durch ein mir immer noch unbekanntes Land aus einer anderen Zeit. Beides – das Land und die Zeit – lässt mich nicht los. Dort, im alten Japan, gab es Gegenstände, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Inros zum Beispiel. Das sind kleine Behälter, die, weil es in der Kleidung für Männer keine Taschen gab, dem Transport von kleinen Dingen dienten. Diese Inros wurden wiederum an einem Obi befestigt. Was assoziieren wir, weit von Japan entfernt, mit diesem Wort? Obi? Star Wars, einen Baumarkt?!
Ein Obi ist ein Gürtel. Er wurde um den Kimono gebunden, den ein Samurai im Alltag trug. Über ein solches Detail, ein Accessoire, hat sich mir – in der Auseinandersetzung mit der Pfingstrosenlaterne – eine ganze visuelle Welt erschlossen: Muster, Rüstungen, Schwerter, Gürtel und ihre Bindetechniken, Schuhwerk, Architektur. All das war und ist anders – und so faszinierend für mich. Ebenso wie die versunkene Welt der Samurais, in der diese Dinge und die dazugehörigen Kodizes zu verorten sind. Sie wirken so seltsam und fremd, jedenfalls für mich. Und sie wirken zugleich bis heute nach. Vermutlich kann der, der das alte Japan nicht kennt, das Japan von Heute nicht verstehen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es in diesem klassischen Text zeitlose, überall auf der Welt geläufige Themen: Dreiecksgeschichten, Ärger in der Familie, Missgunst und auch Glück.
Die Brücke zwischen den beiden Polen? – dem Fremden und dem Bekannten – war für mich der Holzschnitt.
Der japanische Holzschnitt eröffnete mir eine Bildwelt, der ich nur mit großer Demut begegnen kann. In seiner Präzision, der Detailgenauigkeit und seiner komplexen Narrativität ist und bleibt er unerreicht. Zunächst erschien es mir unmöglich, eine japanische Bildwelt mit dem Holzschnitt zu entwerfen/komponieren. All das, was in »Die Pfingstrosenlaterne« beschrieben wird, gibt es schon in den Bildern dieser Technik zu sehen.
Was hatte ich dieser Geistergeschichte aus dem 17. Jahrhundert beizufügen? Der Holzschnitt ist auch meine Technik, auch wenn ich ihn ganz anders einsetze. Ich habe drei Sonderfarben verwendet: Farben, die besonders leuchten. Die Kapitelanfänge sind so gestaltet, dass sie sich von der Nacht zur Morgendämmerung hin grafisch verändern. Die Bilder schließlich zitieren die Edozeit, die Epoche zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert. Ebenso enthalten sie neue, heutige Motive, Fundstücke meiner gedanklichen Reise durch das alte Japan. Ich habe sie an meinem Obi in meinem imaginären Inro aufbewahrt. Japonismus? Vielleicht. Entscheiden Sie selbst.
Beim ersten Lesen des Textes war ich an manchen Stellen von der Grausamkeit der Handlung schockiert, aber je öfter ich ihn las, um so mehr entdeckte ich Schilderungen und Details, die mich in ihren Bann zogen und mir im Gedächtnis bleiben werden. Auch werde ich zeitgenössische japanische Literatur, wie z.B. Haruki Murakamis »1Q84« nun anders lesen.