Das mitreißende Debüt einer jungen Frau, die sich zwischen zwei Welten behauptet

Um uns den Kongo und seine reiche Kultur näher zu bringen, hat die Autorin im untenstehenden Interview nicht nur persönliche Fotos, sondern auch eine Playlist sowie das Ndongo Ndongo-Rezept ihrer Mutter mit uns geteilt.
Schon als kleines Mädchen hat Nadège Kusanika den versammelten Nachbarskindern gerne Geschichten erzählt. Später wurde das Geschichtenerzählen für sie zu einer Aufgabe: Mit fünfzehn zieht sie aus der Demokratischen Republik Kongo zu ihrem Vater nach Deutschland und weiß viele Geschichten aus ihrer Heimat zu erzählen, und nicht nur von den Härten des Aufwachsens im krisengebeutelten Kongo, die den Menschen hier in Deutschland als erstes in den Sinn kommen. Indem sie ihre persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen aufschreibt, gibt Nadège Kusanika denjenigen eine Stimme, die sonst nicht gehört würden, gibt dem Kongo seine Bedeutungsvielfalt zurück und sensibilisiert die Lauten und Vorschnellen für eine neue Perspektive. In »Unter derselben Sonne« stellt die Autorin mit Leichtigkeit und Humor beide Welten, für die ihr Herz schlägt, gegenüber. Sie geht der Frage nach, in welcher Tiefe sie ihr Leben beeinflusst haben, und inwieweit beide Lebenswelten sie zu dem Menschen gemacht haben, der sie heute ist.

Porträtfoto Nadège Kusanika
Woher kam der Wunsch, über Ihre Erlebnisse zu schreiben?
Lange Zeit las ich Bücher, ohne mir über die Kraft der Literatur im Klaren zu sein: Was sie bewirkt, wenn wir uns in irgendeiner Weise in den Geschichten der Protagonisten wiedererkennen. Dieses befreiende Gefühl, gesehen und verstanden zu werden, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben, als ich das Buch von Chimamanda Ngozie Adichie »Americanah« in den Händen hielt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich jedes Mal das Buch vor Aufregung zuklappte, als ich Passagen las, die meine Erfahrungen eins zu eins wiedergaben. Wenn es mir vorher nicht bewusst war, dann war dies der entscheidende Moment für mich, um zu begreifen, wie wichtig es ist, sich und seine Umwelt in der Literatur repräsentiert zu sehen. Man bekommt ein besseres Verständnis von sich selbst. Ich war nicht mehr nur eine Beobachterin der Geschichten anderer. Ich fühlte mich mit meinen Erfahrungen nicht länger sonderbar und allein. Ich kam mir jedenfalls sehr besonders vor. Und das hatte keine Literatur, die ich bis dahin gelesen hatte, geschafft. Wenn es vorher eher ein Wunsch war, selbst mal zu schreiben, wurde er nach dieser Erfahrung zu einer Pflicht. Nicht nur für mich, sondern für alle, die ähnliche Erlebnisse haben wie ich.
Was sind für Sie die grundlegenden Unterschiede zwischen einem Leben im Kongo und in Deutschland, existieren wirklich beide Welten unter derselben Sonne?
Das ist eine sehr gute Frage! Unter derselben Sonne streben wir alle auf der Welt nicht nur nach einem glücklicheren, aber vor allem nach einem würdevolleren Leben. In Deutschland ist die Würde des Menschen in der Verfassung verankert. Mit diesem Grundsatz schafft der Staat Rahmbedingungen, die die Umstände unter den Menschen, die Suche nach sich selbst und nach dem Leben erleichtern. Wir haben hier Strom, Trinkwasser und eine sehr gute Infrastruktur, womit sich das Leben trotz seiner Widrigkeiten würdevoll gestalten lässt. Um zum Beispiel ein Spiegelei zu braten, wird man hier höchstens fünf Minuten brauchen. Für die meisten Menschen im Kongo kann das Zubereiten eines Spiegeleis eine Tortur sein, weil der Strom eben nicht immer vorhanden ist, und man stattdessen zunächst die Grillkohle oder das Feuer schüren muss. Das kann unter Umständen sehr lange dauern.
Die Menschen im Kongo kämpfen noch um die grundlegendsten Dinge, wohingegen wir hier in Deutschland das Privileg haben, nicht einmal im Traum darüber nachdenken zu müssen. Wir leben in demselben Sonnensystem mit denselben Ansprüchen an ein Mindestmaß an Würde. Doch es besteht eine sehr große Diskrepanz zwischen den Bedingungen, unter denen sich dieses würdevolle Leben im Kongo und in Deutschland gestalten lässt.
Was war für Sie das Schwierigste daran, Ihr Leben im Kongo hinter sich zu lassen?
Alles Vertraute. Wenn man eine Gesellschaft verlässt, in die man hineingeboren und in der man aufgewachsen ist, ist es wie bei der Geburt, wenn die Nabelschnur, die die Mutter und das Baby verbindet, mit einer Schere durchschnitten wird. Trotz der körperlichen Trennung bei der Geburt bleiben Mutter und Kind für immer miteinander verbunden. Dieses Phänomen habe ich auch bei den meisten Migranten beobachtet, die wie ich in der Ferne, weit weg von allem Vertrauten, einen Neuanfang gemacht haben. Es sind die einfachen Dinge, die einem das warme Gefühl des Heimischseins und damit auch ein Stück von sich selbst zurückgeben. Und doch gleichzeitig starkes Heimweh hervorrufen. Das kann die Sprache sein. Eine Gelegenheit, sich ohne Nachzudenken auf der eigenen Sprache zu unterhalten. Für mich fühlte sich das so an, als wäre ich ein beeinträchtigter Mensch, der seine Behinderung von einer Sekunde auf die andere losgeworden ist. Gerade zu Beginn habe ich die Erfahrung gemacht, dass mich meine Gegenüber unterschätzen oder für dumm halten, weil ich noch nicht alles in der fremden Sprache verstanden habe. Ich muss mein Dasein ständig erklären, bei Fremden, bei Freunden und in meinen Beziehungen. Ich habe mich an jeden Menschen geklammert, an jedes Ding, jedes Essen, das eine Selbstverständlichkeit mit sich bringt, die einem nur die Heimat geben kann. Ich habe lange nicht verstehen können, warum Menschen sich darüber aufregen, wenn Migranten lieber ihre Sprache sprechen oder das Essen und die Musik ihrer Heimat nicht aufgeben wollen. Das macht doch den Kompass im Leben aus! Wie soll ich mich noch auf dieser Welt zurechtfinden, wenn all diese Dinge einfach wegfallen? Das wäre, als würde man mich restlos auslöschen.
Eine Kindheit im Kongo


Inwiefern spielt Essen, Musik und Mode eine Rolle für Ihre Erinnerung an den Kongo und auch für Ihren Roman?
Eine große Rolle. Denn sie zeigen, dass der Kongo trotz Armut, Kriegen und Korruption eine reiche Kultur hat, die Menschen wie Barack Obama inspirieren. Beyoncé benutze 2020 ein kongolesisches Lied Ngai Tembe Eleka von Franco & TP OK JAZZ für das britische Vogue Magazin »Behind The Scenes«. Daran erkennt man, welchen musikalischen Einfluss der Kongo auf die Welt hat. Die kongolesische Rumba zählt zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Und Beyoncés Schwester Solange Knowles drehte ihr Musikvideo »Losing you« mit kongolesischen Sappeurs. Die Sappeurs sind für ihren extravaganten Modegeschmack bekannt und spielen eine wichtige Rolle für den Kongo. Wir Kongolesen sind Feinschmecker. Im Kongo entsteht großartige Musik. Das alles sind Aspekte meines Heimatlands, die hier in Deutschland niemand kennt. Deshalb wollte ich sie auch in meinen Roman einfließen lassen. Und als kleine Inspiration habe ich eine Playlist mit kongolesischer Musik für Sie zusammengestellt – einfach reinhören und genießen!
Rezept für »Ndongo Ndongo« an Erdnusssauce

Okra, in meiner Heimat »Ndongo Ndongo« genannt, war für mich immer ein besonderes Gemüse. Meine Mutter bereitete es oft in Erdnussbuttersauce zu – ein echtes Festessen, das sie nur an besonderen Tagen servierte. Dieses Rezept bringt nicht nur den Geschmack des Kongo auf den Tisch, sondern auch ein Stück meiner Kindheit. Probieren Sie es aus!